Dr. iur. Klaus Rinck, Dr. iur. Rupert Czinczoll
Rz. 55
Die Berufungsbegründung ist das Herzstück des gesamten Berufungsverfahrens. Nach den ihr zugehörigen Berufungsanträgen (dazu siehe oben Rdn 19 ff.) und ihrem sachlichen Gehalt bestimmt sich der zweitinstanzliche Streitgegenstand. Die Konzentration auf den Inhalt der Berufungsbegründung wird insbesondere dadurch bewirkt, dass nach § 67 Abs. 4 S. 1 ArbGG auch sämtliche neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel des Berufungsklägers, soweit sie nach § 67 Abs. 2 und 3 ArbGG überhaupt noch vorgebracht werden können, in die Berufungsbegründung aufzunehmen sind.
Rz. 56
§ 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG erklärt für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Berufung für entsprechend anwendbar, weshalb insbesondere § 520 Abs. 3 ZPO zum Tragen kommt. Allerdings werden die Präklusionsvorschriften der §§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 4, 531 Abs. 2 ZPO durch die speziellere Regelung des § 67 ArbGG verdrängt. Wie auch nach bisherigem Recht sind bestimmte inhaltliche Mindestanforderungen an die Berufungsbegründung nicht nur im Interesse der Erfolgsaussicht der Berufung in der Sache zu erfüllen, sondern Zulässigkeitsvoraussetzung. Bei Nichtbeachtung erfolgt die Verwerfung der Berufung als unzulässig.
Bei der näheren Bestimmung dieser Begründungsanforderungen ist zwischen drei Grundsituationen zu unterscheiden:
a) Berufung gegen ein "Urteil ohne Gründe"
Rz. 57
Richtet sich die Berufung gegen die seltenen Fälle eines "Urteils ohne Gründe", also eines solchen, bei dem auch nach Ablauf von fünf Monaten seit seiner Verkündung Tatbestand und Entscheidungsgründe noch nicht vom Richter unterschrieben zur Geschäftsstelle gelangt sind (zur Berufungsfrist in solchen Fällen siehe Rdn 29), kann eine Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen naturgemäß nicht stattfinden. Hier ist dem Begründungserfordernis der Berufung bereits dadurch genüge getan, dass auf den Verfahrensmangel der fehlenden Gründe hingewiesen wird. Alternativ stellt auch eine hypothetische Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen eine zulässige Verfahrensweise dar, soweit der Berufungsführer anhand des Verlaufs der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht, des Inhalts von Auflagen-, Hinweis- oder Beweisbeschlüssen oder aus ähnlichen Quellen auf einen vermutlichen Kern der Entscheidungsgründe schließen kann.
Rz. 58
Eine hypothetische Berufungsbegründung kann ferner dann angezeigt sein, wenn das unterschriebene Urteil zwar vor Ablauf von fünf Monaten zur Geschäftsstelle gelangt war – sodass es sich dann nicht um ein "Urteil ohne Gründe" im Sinne der Verfassungsrechtsprechung handelt –, die Zustellung des Urteils aber jenseits der Fünf-Monats-Grenze erfolgt ist. Allerdings sollte in diesen Konstellationen stattdessen besser ein – auskömmlich bemessener – Fristverlängerungsantrag gestellt werden.
Rz. 59
Begründet der Berufungskläger sein Rechtsmittel jedoch innerhalb der ersten fünf Monate nach Urteilsverkündung ohne Not schon vor der Zustellung der mit Gründen versehenen Entscheidung, muss er das Risiko tragen, dass seine Ausführungen die späteren Urteilsgründe verfehlen.
Rz. 60
In den Fällen eines "Urteils ohne Gründe" beginnt der Prozess vor dem LAG praktisch von neuem, da eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht auch bei diesem Verfahrensmangel gem. § 68 ArbGG ausgeschlossen ist.
b) Berufung ausschließlich wegen neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel
Rz. 61
Soll die Berufung ausschließlich auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden – vgl. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO –, die erstinstanzlich noch nicht vorgebracht wurden, so muss auf das erstinstanzliche Urteil nur insoweit eingegangen werden, als dies erforderlich ist, um die Rechtserheblichkeit des neuen Vorbringens zu verdeutlichen.
Rz. 62
Die Begründung einer solchen Berufung hat neben einer Darstellung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel selbst auch Ausführungen dazu zu enthalten, warum das neue Vorbringen in rechtlicher Hinsicht für erheblich gehalten wird und warum es ungeachtet der Verspätungsvorschriften – siehe § 67 ArbGG – nicht präkludiert ist.
c) Berufung in Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil
Rz. 63
In allen anderen Fällen hat sich die Berufungsbegründung eingehend mit den Entscheidungsgründen des arbeitsgerichtlichen Urteils auseinander zu setzen. Dies bedeutet:
Rz. 64
Weicht die Rechtsauffassung des Berufungsführers von derjenigen des Arbeitsgerichts ab, ist die vermeintlich richtige Rechtsauffassung in Kontrast zu den Ausführungen des Arbeitsgerichts argumentativ zu begründen.
Rz. 65
Bei Angriffen gegen tatsächliche Feststellungen muss die Berufungsbegründung mindestens erkennen lassen, welche der fes...