Dr. iur. Klaus Rinck, Dr. iur. Rupert Czinczoll
Rz. 57
Richtet sich die Berufung gegen die seltenen Fälle eines "Urteils ohne Gründe", also eines solchen, bei dem auch nach Ablauf von fünf Monaten seit seiner Verkündung Tatbestand und Entscheidungsgründe noch nicht vom Richter unterschrieben zur Geschäftsstelle gelangt sind (zur Berufungsfrist in solchen Fällen siehe Rdn 29), kann eine Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen naturgemäß nicht stattfinden. Hier ist dem Begründungserfordernis der Berufung bereits dadurch genüge getan, dass auf den Verfahrensmangel der fehlenden Gründe hingewiesen wird. Alternativ stellt auch eine hypothetische Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen eine zulässige Verfahrensweise dar, soweit der Berufungsführer anhand des Verlaufs der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht, des Inhalts von Auflagen-, Hinweis- oder Beweisbeschlüssen oder aus ähnlichen Quellen auf einen vermutlichen Kern der Entscheidungsgründe schließen kann.
Rz. 58
Eine hypothetische Berufungsbegründung kann ferner dann angezeigt sein, wenn das unterschriebene Urteil zwar vor Ablauf von fünf Monaten zur Geschäftsstelle gelangt war – sodass es sich dann nicht um ein "Urteil ohne Gründe" im Sinne der Verfassungsrechtsprechung handelt –, die Zustellung des Urteils aber jenseits der Fünf-Monats-Grenze erfolgt ist. Allerdings sollte in diesen Konstellationen stattdessen besser ein – auskömmlich bemessener – Fristverlängerungsantrag gestellt werden.
Rz. 59
Begründet der Berufungskläger sein Rechtsmittel jedoch innerhalb der ersten fünf Monate nach Urteilsverkündung ohne Not schon vor der Zustellung der mit Gründen versehenen Entscheidung, muss er das Risiko tragen, dass seine Ausführungen die späteren Urteilsgründe verfehlen.
Rz. 60
In den Fällen eines "Urteils ohne Gründe" beginnt der Prozess vor dem LAG praktisch von neuem, da eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht auch bei diesem Verfahrensmangel gem. § 68 ArbGG ausgeschlossen ist.