Dr. iur. Klaus Rinck, Dr. iur. Rupert Czinczoll
I. Gang des Verfahrens und seine voraussichtliche Dauer
1. Terminierung
Rz. 121
Im Regelfall nach Eingang der Berufungsbegründung setzt das Gericht einen Verhandlungstermin an, falls es keinen Grund erkennt, die Berufung ohne mündliche Verhandlung als unzulässig zu verwerfen. Dabei hat es die noch bevorstehende Berufungsbeantwortungsfrist einzukalkulieren. Schon deshalb kann der Verhandlungstermin selbst bei günstiger Geschäftslage nicht früher als ca. sechs Wochen nach Eingang der Berufungsbegründung bei Gericht stattfinden. Gem. § 64 Abs. 8 ArbGG sind Berufungen in Kündigungssachen vorrangig zu terminieren.
2. Mündliche Verhandlung vor dem Berufungsgericht
Rz. 122
Ein eigener Gütetermin wie vor dem Arbeitsgericht ist in der Berufungsinstanz nicht vorgesehen; § 64 Abs. 7 ArbGG verweist nicht auf § 54 Abs. 1 bis Abs. 5 ArbGG. Der Ablauf des Verhandlungstermins ähnelt dem Ablauf eines Kammertermins vor dem Arbeitsgericht, nur dass gewöhnlich mehr Zeit für die Erörterung der Sach- und Rechtslage zur Verfügung steht. Zu Beginn werden nochmals die Einhaltung der Einlegungs- und Begründungsfrist und etwaige im Einzelfall sonst bedeutsame Formalien überprüft.
Die eigentliche Verhandlung beginnt mit dem Stellen der Sachanträge. Hält die Kammer aufgrund ihrer Vorberatung die Berufung für aussichtslos, wird der Vorsitzende oft schon in dieser Phase eine Rücknahme der Berufung anregen.
Rz. 123
Eine Entscheidung wird – nach entsprechender Schlussberatung der Kammer – entweder am Ende des Verhandlungstermins selbst bzw. im Rahmen einer "Sammelverkündung" am Ende der jeweiligen Sitzung verkündet, oder es wird aus besonderem Anlass ein Verkündungstermin anberaumt, § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, §§ 310 ff. ZPO.
Rz. 124
Der auch für das Berufungsverfahren geltende gesetzliche Auftrag des § 57 Abs. 1 S. 1 ArbGG, wonach die Verhandlung "möglichst in einem Termin zu Ende zu führen ist", wird in der Mehrzahl der Fälle erfüllt. Auch die Parteien müssen jedoch bei der Vorbereitung der Verhandlung und ihrer Durchführung daran mitarbeiten, dass Entscheidungsreife eintreten kann. Sieht man einmal von besonders umfangreichen oder komplizierten Verfahren ab, wird es zu einer Vertagung i.d.R. nur dann kommen, wenn eine Beweisaufnahme ansteht. Die abschließende Durchführung einer Beweisaufnahme schon im ersten Termin wird dagegen eher die Ausnahme bleiben müssen, etwa wenn nur ein oder zwei Auskunftspersonen (Zeugen oder Parteien) zu vernehmen sind und/oder die Beweisfrage besonders einfach ist.
3. Voraussichtliche Dauer des Berufungsverfahrens
Rz. 125
Die Statistik belegt, dass die Arbeitsgerichtsbarkeit dem an sie herangetragenen Anliegen einer beschleunigten Verfahrenserledigung trotz hoher Belastung insgesamt auch in der 2. Instanz in erstaunlichem Maße gerecht wird. Im Jahr 2021 haben die Landesarbeitsgerichte 5.668 Bestandsstreitigkeiten erledigt. Davon konnten 18,4 % innerhalb von drei Monaten nach Eingang der Berufung abgeschlossen werden, 33,8 % innerhalb von drei bis sechs Monaten und 37,1 % innerhalb von sechs bis zwölf Monaten. Damit dauerte das Berufungsverfahren nur in 10,7 % der Bestandsschutzfälle länger als zwölf Monate.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch die Parteien etwa durch Ausschöpfen der Fristen bis zum letzten Tag oder durch Fristverlängerungs- und Vertagungsanträge nicht geringen Einfluss auf die Dauer des Verfahrens nehmen.
II. Allgemeine Verfahrensgrundsätze
1. Verhältnis von ArbGG zu ZPO; Verhältnis von erst- zu zweitinstanzlichem Verfahren
Rz. 126
Ebenso wie im erstinstanzlichen Verfahren gilt auch für das Berufungsverfahren die Grundregel: Soweit das Arbeitsgerichtsgesetz nichts anderes bestimmt, gelten die Vorschriften der ZPO über das Berufungsverfahren entsprechend, § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG.
Rz. 127
Spezielle Normen über das Berufungsverfahren enthalten §§ 64 bis 69 ArbGG. Daneben sind über die Verweisung in § 64 Abs. 7 ArbGG viele, aber nicht alle der Sonderregeln über das erstinstanzliche Verfahren vor dem Arbeitsgericht auch für das Berufungsverfahren verbindlich. Dabei ist besonders darauf zu achten, welche Sonderregeln des ArbGG, die für die 1. Instanz gelten, für das Berufungsverfahren gerade nicht in Bezug genommen sind.
2. Besonderheiten des Berufungsverfahrens
Rz. 128
Die wichtigsten Spezialregelungen des ArbGG für das Berufungsverfahren, enthalten insbesondere in §§ 64–67 ArbGG, sind bereits im jeweiligen Sachzusammenhang behandelt worden. Ergänzend soll im Folgenden noch auf einige weitere Eigenheiten eingegangen werden.
a) Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht
Rz. 129
Die Möglichkeiten, den Rechtsstreit an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen, sind durch § 68 ArbGG gegenüber § 538 ZPO erheblich eingeschränkt. Nach § 68 ArbGG ist nämlich eine Zurückverweisung wegen "eines Mangels im Verfahren" unzulässig. Das soll auch für schwerste Verfahrensmängel gelten, insbesondere auch, wenn ein sog. "Urteil ohne Gründe" (siehe Rdn 57) vorliegt, denn im Verhältnis LAG/Arbeitsgericht fehlt es auch an einer der Regelung des § 72b Abs. 5 ArbGG entsprechenden Norm. In diesem Verhältnis hat die Zurückverweisung daher – anders als im Verhältnis BAG/LAG – kaum praktische Bedeutung.
Rz. 130
Eine Ausnahme ...