Rz. 163
Ein Grundurteil wird zwar nur formell, nicht aber auch materiell rechtskräftig (§ 322 ZPO). Dennoch entfaltet es eine innerprozessuale Bindungswirkung im Betragsverfahren einschließlich des Rechtsmittelverfahrens (§§ 318, 512 ZPO). Der Grund des Anspruchs steht für das Betragsverfahren fest, ist in diesem nicht mehr zu prüfen und das Gericht darf selbst dann nicht von seiner früheren Entscheidung abweichen, wenn es inzwischen anderer Meinung ist. Dies gilt nach Erlass eines Grundurteils und Zurückverweisung der Sache auch für das Berufungsgericht in weiteren Berufungsverfahren. Die Bindungswirkung tritt unabhängig davon ein, ob die betroffenen Umstände den Parteien vor dem Erlass des Grundurteils bekannt waren oder sie diese kennen mussten oder konnten (arg. § 767 Abs. 2 ZPO).
Rz. 164
Ihrem Umfang nach reicht die Bindungswirkung so weit, wie das erkennende Gericht den Streit der Parteien über den Anspruchsgrund tatsächlich entschieden hat. Hierfür ist nicht allein die Urteilsformel maßgeblich, vielmehr müssen zu ihrem Verständnis die Entscheidungsgründe mit herangezogen werden. Eine Bindung an Tatbestand und Entscheidungsgründe tritt insoweit ein, als sie den festgestellten Anspruch kennzeichnen, mithin dessen Inhalt bestimmen. Das Grundurteil hat für das Betragsverfahren Bindungswirkung, soweit es den Klageanspruch bejaht hat und dessen Höhe durch den anerkannten Klagegrund gerechtfertigt ist. Es legt fest, auf welcher Grundlage das Betragsverfahren aufzubauen hat und welche Umstände bereits – für die Parteien bindend – abschließend im Grundverfahren geklärt sind. Eine Bindung durch das Grundurteil besteht folglich (nur), soweit das Grundurteil bindende Feststellungen und bindende Entscheidungen von Streitpunkten treffen will, was – sofern kein ausdrücklicher Vorbehalt vorhanden ist (siehe oben Rdn 118 ff.) – durch Auslegung des Urteils zu ermitteln ist.
Rz. 165
Auch inkorrekten Grundurteilen kommt zwar bindende Wirkung zu. Diese beschränkt sich jedoch ebenfalls auf das, was festgestellt worden ist, und erstreckt sich nicht auf Streitpunkte, die richtigerweise hätten mitentschieden werden müssen. Vielmehr besteht in diesem Fall die Möglichkeit und die Notwendigkeit, im Betragsverfahren über den fehlerhafterweise vorbehaltenen Punkt zu befinden.
Rz. 166
Ist im Grundurteil beispielsweise nicht über die Kausalität entschieden worden, so kann sich der Kläger im Betragsverfahren nicht darauf berufen, dass die Fragen des Schutzbereichs der Norm und des Zurechnungszusammenhangs bereits zu seinen Gunsten entschieden seien, und zwar unabhängig davon, ob hierüber bereits im Grundurteil zu entscheiden gewesen wäre.
Rz. 167
Behält das Gericht dagegen die Frage eines Forderungsübergangs (siehe oben Rdn 84 f.) nicht hinreichend deutlich dem Betragsverfahren vor, so liegt im Erlass des Grundurteils dessen bindende Verneinung. Ein vor Schluss der mündlichen Verhandlung im Grundverfahren erfolgter Übergang auf einen Dritten und damit der Wegfall der Sachbefugnis des Klägers kann im Betragsverfahren dann nicht mehr geltend gemacht werden.
Rz. 168
Ausführungen, die ausschließlich die Höhe des Anspruchs betreffen, sind jedoch im Grundurteil unzulässig und binden deshalb im Betragsverfahren nicht. Der Anschein einer Bindungswirkung, der von einem in unzulässiger Weise die Höhe des Schadens behandelnden Grundurteil ausgehen kann, rechtfertigt daher auch nicht die Zulässigkeit eines Rechtsmittels; denn im Rechtsmittel kann der Rechtsmittelführer seine gegenteilige Auffassung weiterverfolgen. Siehe auch § 28 Rdn 24.
Rz. 169
Da ein Grundurteil nicht die unumstößliche Gewissheit von der Entstehung eines Schadens voraussetzt, sondern – anders als ein Feststellungsurteil über die Ersatzpflicht – bereits ergehen kann, wenn nach der Sachlage und dem regelmäßigen Verlauf der Dinge eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür gegeben ist, dass der Klageanspruch wenigstens in irgendeiner, im Einzelnen noch festzustellenden Höhe besteht (siehe oben Rdn 122), kann es vorkommen, dass – trotz eines dem Kläger günstigen, rechtskräftig gewordenen Grundurteils – die Klage im Betragsverfahren vollständig abgewiesen wird, weil der zunächst als wahrscheinlich erachtete Schaden sich schließlich doch nicht feststellen lässt. Dies gilt auch, wenn das Grundurteil in einem Adhäsionsverfahren, also im Strafprozess (siehe auch § 33), ergangen ist.
Rz. 170
Gründe, die zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens im Wege der Nichtigkeits- oder Restitutionsklage (§§ 578, 579, 580 ZPO) berechtigen, können auch dann im Betragsverfahren vorgebracht werden, wenn über sie bereits im – formell rechtskräftigen – Grundurteil entschieden worden ist. Der Bindungswirkung des Grundurteils sind insoweit Grenzen gesetzt. Zwar soll der Streit über die im Grundurteil ausgeschiedenen Fragen im weiteren Verfahren grundsätzlich abgeschnitten sein. Diese der Prozessökonomie dienende Zweiteilung des Verfahrens g...