Rz. 80

Wird ein prozessualer Anspruch – kumulativ oder alternativ – auf mehrere Anspruchsgrundlagen gestützt, so muss ein den ganzen Rechtsstreit betreffendes Grundurteil regelmäßig sämtliche Klagegründe erschöpfend abhandeln.[138] Ein uneingeschränktes Grundurteil kann bei mehreren Anspruchsgrundlagen grundsätzlich nur ergehen, wenn alle denkbare Anspruchsgrundlagen den geltend gemachten Zahlungsbetrag voll rechtfertigen können und inhaltlich dieselben (und alle) Schadenspositionen betreffen.[139]

 

Rz. 81

Etwas anderes gilt lediglich, wenn feststeht, dass der festgestellte Klagegrund für die Höhe des gesamten eingeklagten Betrages ausreicht und der andere Klagegrund daneben ohne eigene Bedeutung bleibt.[140]

 

Rz. 82

Begründet dagegen eine von mehreren Anspruchsgrundlagen einen weitergehenden Anspruch, so muss diese im Grundurteil geprüft werden. Dies kommt im Unfallhaftpflichtrecht insbesondere im Hinblick auf die bei einer bloßen Gefährdungshaftung bestehenden Haftungshöchstbeträge in Betracht (beispielsweise §§ 12, 12a StVG), wenn deliktische Ansprüche (§§ 823 ff. BGB) eine weitergehende Haftung tragen.[141] Sind die Voraussetzungen der weitergehenden Ansprüche nicht erfüllt, so dürfen diese nicht dem Betragsverfahren vorbehalten bleiben, sondern müssen im Grundurteil – zumindest in den Entscheidungsgründen – abgewiesen werden,[142] was bei Unterbleiben im ersten Rechtszug im Rechtsmittelverfahren nachgeholt werden kann.[143] Im Umfang der Abweisung handelt es sich nicht um ein Zwischenurteil über den Grund, sondern ein (Teil-)Endurteil (§ 301 ZPO). Die Urteilsformel in der Hauptsache kann dabei wie folgt lauten: "Der Klageanspruch wird im Rahmen der derzeit gültigen Haftungsgrenzen des Straßenverkehrsgesetzes dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt; bezüglich der darüber hinausgehenden Ansprüche des Klägers wird die Klage abgewiesen."

 

Rz. 83

Ein Grundurteil darf bei einem auf mehrere Anspruchsgrundlagen – auch hilfsweise – gestützten Begehren keine alternative Zuerkennung dergestalt vornehmen, dass entweder der eine oder der andere dem Grunde nach gerechtfertigt ist. Denn dadurch bleibt der Umfang einer möglichen Bindungswirkung des Grundurteils im Unklaren.[144]

[138] BGH, Urt. v. 16.1.1991 – VIII ZR 14/90, NJW-RR 1991, 599; BGH, Urt. v. 13.6.1978 – VI ZR 39/77, BGHZ 72, 34.
[139] BGH, Urt. v. 2.10.2000 – II ZR 54/99, NJW 2001, 224; BGH, Urt. v. 4.11.1997 – VI ZR 348/96, BGHZ 137, 89.
[140] BGH, Urt. v. 13.6.1978 – VI ZR 39/77, BGHZ 72, 34; BGH, Urt. v. 28.1.1970 – V ZR 7/67, NJW 1970, 608.
[141] BGH, Urt. v. 13.6.1978 – VI ZR 39/77, BGHZ 72, 34.
[142] BGH, Urt. v. 23.1.1979 – VI ZR 199/77, NJW 1979, 1046; BGH, Urt. v. 26.11.1963 – VI ZR 223/62, VersR 1964, 164; BGH, Urt. v. 10.7.1959 – VI ZR 160/58, NJW 1959, 1918; Musielak/Voit/Musielak, § 304 Rn 28.
[143] OLG Koblenz, Urt. v. 7.1.1985 – 12 U 166/84, VRS 68 (1985), 179.
[144] BGH, Urt. v. 30.6.1969 – V ZR 47/66, NJW 1969, 2241.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge