Rz. 1
Die geringfügige Beschäftigung ist ein spätestens seit der Diskussion um die sog. Hartz-Gesetzgebung kurz nach der Jahrtausendwende beschäftigungs- und sozialpolitisch umstrittenes Thema, das eine erhebliche und politisch letztlich gewollte Bedeutung im allgemeinen deutschen Arbeitsmarkt hat. Der zeitweilig verbreiteten Praxis, Aushilfen mehr oder weniger unabhängig von ihrer Arbeitszeit mit einem Pauschallohn im Geringfügigkeitsbereich ("630-Mark-Job", "450-Euro-Job") zu vergüten, wurde mit der Einführung des Mindestlohngesetzes 2015 ein Riegel vorgeschoben. Rechnerisch waren bei zunächst 8,50 EUR Mindeststundenlohn und einer Geringfügigkeitsgrenze von 450 EUR/Monat nur noch höchstens knapp 53 Stunden im Monat, also gut 12 Stunden je Woche möglich. Mit dem steigenden Mindestlohn sank bei konstanter Geringfügigkeitsgrenze die zulässige Stundenzahl bis Sommer 2022 auf 43 Monats- bzw. 9,94 Wochenstunden (10,45 EUR Mindeststundenlohn seit 1.7.2022). Seit Oktober 2022 ist die Geringfügigkeitsgrenze an die Entwicklung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns gekoppelt und lässt stets zehn Wochenstunden zum allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn zu.
Rz. 2
Aus den Beschäftigungsstatistiken der Bundesagentur für Arbeit sowie des Statistischen Bundesamts ergibt sich, dass neben den rund 34,5 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland (Stand: 30.6.2022) zum Jahresende 2022 auch rund 6,5 Mio. geringfügig entlohnte Beschäftigte tätig waren, wovon wiederum mehr als 3,2 Mio. Personen ausschließlich, die übrigen gut 3,3 Mio. Beschäftigten im Nebenjob geringfügig entlohnt waren. Bei insgesamt in den vergangenen 14 Jahren stark gestiegener Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (Juni 2008: 27,7 Mio.; Anstieg bis Juni 2022: +24,5 %) ist die Anzahl der geringfügig Beschäftigten insgesamt in diesem Zeitraum fast konstant geblieben (+2,5 %), diejenige der ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten sogar um gut 26 % gesunken (2008: mehr als 4,3 Mio. Menschen). Ganz gleich, wie man dies nun politisch wertet und welche sozial- und beschäftigungspolitischen Forderungen man daraus ableiten möchte, lässt sich jedenfalls feststellen, dass die geringfügige Beschäftigung dauerhaft ein Massenphänomen ist, das (jedenfalls statistisch betrachtet) beinahe jeden 12. Einwohner Deutschlands und beinahe jeden sechsten Arbeitnehmer unmittelbar betrifft. Frauen sind gegenüber Männern mit 58 % der Fälle bei der geringfügigen Beschäftigung insgesamt, bei der ausschließlichen geringfügigen Beschäftigung mit rund ⅔ der Fälle sogar sehr deutlich überrepräsentiert. In Ostdeutschland spielt neben der geringfügigen Beschäftigung insgesamt auch die ausschließliche geringfügige Beschäftigung eine deutlich geringere Rolle als im Westen (3,9 % der erwerbsfähigen Einwohner im Osten gegenüber 6,3 % im Westen), und zwar vor allem bei den Frauen (4,4 % im Osten, 8,3 % im Westen), aber auch bei den Männern (3,3 % im Osten, 4,4 % im Westen).
Rz. 3
Der Begriff der geringfügigen Beschäftigung ist ein solcher aus dem Sozialversicherungsrecht. Die geringfügige Beschäftigung hat außerdem lohnsteuerliche Bedeutung. Arbeitsrechtlich ist ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis ein (Teilzeit-)Arbeitsverhältnis wie jedes andere Teilzeitarbeitsverhältnis auch. Es gibt keine einzige arbeitsrechtliche Regelung, die nach geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern einerseits und anderen Arbeitnehmern andererseits unterscheidet.
Rz. 4
Insbesondere sind sämtliche Arbeitnehmerschutzvorschriften auch auf geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer anwendbar, also etwa das Urlaubsrecht, das Entgeltfortzahlungsrecht im Krankheitsfall, das Mutterschutz- und Elternzeitrecht, das Kündigungsschutzrecht, das Arbeitszeitrecht, das Mindestlohnrecht, das Tarifrecht, das Betriebsverfassungsrecht usw. Das ist rechtlich unbestritten, auch wenn es in der Praxis bisweilen anders – und dann rechtswidrig – gehandhabt werden mag.
Rz. 5
Was eine geringfügige Beschäftigung ist, ergibt sich aus § 8 Abs. 1 SGB IV: Danach liegt eine geringfügige Beschäftigung vor, wenn
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ENTWEDER das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig die Geringfügigkeitsgrenze nicht übersteigt – geringfügig entlohnte Beschäftigung |
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ODER die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens drei Monate oder 70 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und die Geringfügigkeitsgrenze übersteigt – kurzfristige Beschäftigung. |
Rz. 6
Nach § 8 Abs. 1a SGB IV bezeichnet die vorbenannten Geringfügigkeitsgrenze dabei seit Oktober 2022 dasjenige
monatliche Arbeitsentgelt, das bei einer Arbeitszeit von zehn Wochenstunden zum Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 S. 1 MiLoG in Verbindung mit der auf der Grundlage des § 11 Absatz 1 Satz 1 des Mindestlohngesetzes jeweils erlassenen Verordnung erzielt wird. Sie wird berechnet, indem der Mindestlohn mit 130 vervielfacht, durch drei get...