1. Allgemeines zur Zeitgeringfügigkeit
Rz. 44
Die zweite Tatbestandsvariante der geringfügigen Beschäftigung ist neben der vorstehend erörterten Entgeltgeringfügigkeit (geringfügig entlohnte Beschäftigung) die kurzfristige Beschäftigung im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV (Zeitgeringfügigkeit). Diese folgt grundlegend anderen Prinzipien als die entgeltgeringfügige Beschäftigung und hat auch andere Rechtsfolgen.
Rz. 45
Der gesetzliche Tatbestand einer Beschäftigung, die innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens drei Monate oder siebzig Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt die Geringfügigkeitsgrenze übersteigt, erfordert eine zeitliche Befristung der Tätigkeit.
Rz. 46
Das Sozialversicherungsrecht setzt nicht zwingend eine arbeitsvertragliche Befristungsregelung voraus, sondern lässt auch die Begrenzung "nach der Eigenart der Beschäftigung" zu. Dennoch ist aus arbeitsrechtlichen Gründen dringend dazu zu raten, kurzfristige Beschäftigungen ordnungsgemäß zu befristen. Dabei ist allen Beschränkungen des allgemeinen Befristungsrechts Aufmerksamkeit zu widmen, zu denen insbesondere das Schriftformerfordernis nach § 14 Abs. 4 TzBfG und das Erfordernis eines Sachgrundes nach § 14 Abs. 1 TzBfG zählen. Fehlt es am Sachgrund, so kommt zwar auch eine sachgrundlose Befristung nach § 14 Abs. 2 TzBfG in Betracht. Doch ist nach der damals Aufsehen erregenden Entscheidung des BVerfG aus dem Sommer 2018 zum sog. Vorbeschäftigungsverbot damit zu rechnen, dass das BAG seine Auslegung der Norm künftig wieder eng am Wortlaut orientieren wird, sodass eine sachgrundlose Befristung in aller Regel ausscheidet, wenn zwischen denselben Arbeitsvertragsparteien je zu vor bereits einmal ein Arbeitsvertrag bestanden hat.
2. Zeitobergrenzen von drei Monaten oder 70 Arbeitstagen
Rz. 47
Die auf den ersten Blick nicht recht zueinander passenden, verschiedenen zeitlichen Obergrenzen von entweder drei Monaten oder siebzig Arbeitstagen sind tatsächlich zwei verschiedene Fallvarianten. Die zuständigen Spitzenverbände der Sozialversicherung haben mit Billigung der wohl überwiegenden Auffassung im Schrifttum lange Zeit die Drei-Monats-Grenze nur dann angewandt, wenn der Betroffene die in Rede stehende Beschäftigung an (mindestens) fünf Tagen je Woche ausübte, in allen anderen Fällen hingegen die 70-Tage-Grenze herangezogen. Richtig ist hingegen, dass beide Grenzen gleichrangig nebeneinander stehen, eine kurzfristige Beschäftigung also dann in Betracht kommt, wenn eine der beiden zeitlichen Obergrenzen eingehalten ist. Praktisch wird man im Fall einer zeitlich zusammenhängenden, ununterbrochenen und relativ zeitintensiven Tätigkeit (z.B. einer kurz befristeten Vollzeittätigkeit) vor allem die Drei-Monats-Grenze heranziehen, die 70-Tage-Grenze hingegen für die Vereinbarung einzelner, möglicherweise zu Vertragsbeginn noch gar nicht abschließend festgelegter Arbeitstage oder unstetiger Arbeitsperioden verwenden.
Rz. 48
Nach wie vor halten die Sozialversicherungsträger jedoch daran fest, dass die zeitlichen Obergrenzen ohne Weiteres auch dann gelten, wenn sich die fragliche Tätigkeit auf zwei verschiedene Kalenderjahre verteilt. Es kommt dann auf einen kalenderjahresübergreifenden 12-Monats-Zeitraum an, sodass ein Beschäftigungsverhältnis mit insgesamt mehr als 70 Arbeitstagen wegen Überschreitens auch der Drei-Monats-Grenze keinesfalls zeitgeringfügig sein könnte, wenn es beispielsweise für die Zeit vom 1.11. eines Jahres bis zum 28.2. des Folgejahres abgeschlossen wäre.
Rz. 49
Dennoch werden die Obergrenzen ergänzend auch auf das Kalenderjahr bezogen verstanden. Dies erlangt Bedeutung, wenn entweder mehrere Beschäftigungsverhältnisse mit demselben Arbeitgeber oder mehrere potenziell zeitgeringfügige Beschäftigungsverhältnisse mit verschiedenen Arbeitgebern innerhalb eines Kalenderjahres aufeinandertreffen. Sie sind dann zusammenzurechnen, und es ist zu prüfen, ob sie in Summe die Obergrenze von drei Monaten/siebzig Arbeitstagen nicht übersteigen.
Rz. 50
In beiden Fallvarianten sind jedenfalls nicht nur die tatsächlichen Arbeitstage zu zählen, sondern auch alle sonstigen Zeiträume, für die ein Entgeltanspruch besteht. Das gilt vor allem für bezahlte Urlaubstage oder auch bei Bereitschaftsdienst. Die bloße Abgeltung am Ende der Vertragslaufzeit noch offener Urlaubstage rechnet hingegen nicht als weitere Arbeitstage, verlängert also die Beschäftigungszeit nicht.
Rz. 51
Erstreckt sich ein zusammenhängender Nachtdienst über zwei Kalendertage, so gilt dies als nur ein Arbeitstag.
Rz. 52
Beispiel
Medizinstudent M finanziert sich sein Studium durch die Ableistung von Nachtdiensten. Hierzu hat er einen auf die Dauer eines Semesters befristeten Arbeitsvertrag mit den Universitätskliniken geschlossen. M leistet zwei Nachtdienste pro Woche, was bedeutet, dass er jeweils montags und donnerstags um 20.00 Uhr seinen Dienst antritt und diesen jeweil...