Rz. 78
Zahlungsunwilligkeit ist nicht gleichzusetzen mit Zahlungsunfähigkeit. Die im Insolvenzrecht unbeachtliche Zahlungsunwilligkeit liegt aber nur vor, wenn gleichzeitig Zahlungsfähigkeit gegeben ist. Bei Zahlungseinstellung wird nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO gesetzlich vermutet, dass nicht nur Zahlungsunwilligkeit, sondern Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit aufgrund Zahlungseinstellung kann nicht durch Nachweis der Zahlungsunwilligkeit des Schuldners widerlegt werden, sondern nur durch Nachweis der Zahlungsfähigkeit. Die Feststellung der insolvenzrechtlich unbeachtlichen bloßen Zahlungsunwilligkeit setzt somit zugleich die Feststellung der Zahlungsfähigkeit voraus. Diese muss der Anfechtungsgegner beweisen. Für den Nachweis der Zahlungsfähigkeit muss konkret vorgetragen und ggf. bewiesen werden, dass eine Liquiditätsbilanz im maßgeblichen Zeitpunkt eine Deckungslücke von unter 10 % aufgewiesen hat. Zur Widerlegung der Vermutung kann Beweis angetreten werden durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Erstellung eines Finanzstatus und -plans für den maßgeblichen Zeitraum.
Das Bestehen von Zahlungsunfähigkeit kann evtl. auch aus Erklärungen des Schuldners selbst abzuleiten sein. Hat der Schuldner etwa eigene Erklärungen abgegeben, die als Eingeständnis der Zahlungsunfähigkeit auszulegen sind, sind diese freilich von nur "strategischen" Erklärungen – etwa zur Herbeiführung von Vereinbarungen – abzugrenzen.
Rz. 79
Das Vorhandensein von Zahlungsaußenständen (Forderungen) und anderen Vermögenswerten beseitigt die Zahlungsunfähigkeit nicht, wenn sie nicht ausreichend schnell in für die Begleichung fälliger Verbindlichkeiten erforderliche liquide Zahlungsmittel umzuwandeln sind. Drohende Zahlungsunfähigkeit eines Kassenarztes mit erheblichen Honoraraußenständen ggü. den Krankenkassen ist mit der Begründung angenommen worden, dass der Arzt über die Honorare noch nicht verfügen konnte. Bei der Prüfung der Zahlungsfähigkeit sind also nur die tatsächlich vorhandenen flüssigen Mittel zu berücksichtigen.
Rz. 80
Praxishinweis
Nicht selten wird auch eingetretene Zahlungsunfähigkeit nicht als solche im Rechtssinne erkannt, weil entweder die Fälligkeit von Verbindlichkeiten rechtlich nicht zutreffend beurteilt oder die liquiden Mittel falsch eingeschätzt werden. Bspw. ist eine (nicht dauerhaft geduldete) Überziehung des Kontos eine fällige Verbindlichkeit ggü. dem Kreditinstitut, ebenso wie eine Schuld ggü. dem Lieferanten nach Erhalt der Lieferung und der Rechnung fällig ist, auch wenn der Lieferant erfahrungsgemäß "stillschweigend" erst nach Ablauf von etwa 3 Monaten mahnt. Andererseits können ausstehende Forderungen in die Liquiditätsplanung nur zu den Zeitpunkten und in der Höhe eingestellt werden, zu denen realistischer Weise tatsächlicher Zahlungseingang angenommen werden kann.
Rz. 81
Weiterer Praxishinweis
Bei der Beurteilung der Zahlungseinstellung als Voraussetzung für die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit (s.o. Rdn 68 ff.) und bei der retrograden Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit werden – etwa in Haftungsprozessen gegen die Geschäftsleitung – evtl. mit den Gläubigern getroffene Stillhaltevereinbarungen (sog. wirtschaftliche Stundungen) regelmäßig, mitunter aber auch rechtliche Stundungen nicht berücksichtigt. Daher ist es für den Schuldner, d.h. etwa für den Geschäftsführer der GmbH von zentraler Bedeutung, dass er die mit den Gläubigern (ggf. nur mündlich) getroffenen Vereinbarungen zum Stillhalten oder über die Stundung genau dokumentiert: Zeitpunkt, Ort, Art und Person/Gesprächspartner der getroffenen Abrede. Hilfreich wird regelmäßig auch ein Beweismittel sein, etwa das Zeugnis des mitwirkenden Sanierungsberaters gem. seiner eigenen Dokumentation.