Rz. 199
In der Praxis sind die Stundungsvereinbarung und sonstige Stillhalteabreden häufig das effektivste, mitunter auch das einzige Mittel, kurzfristig eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen und so die Zeit zu erhalten, ein weiterführendes Sanierungskonzept zu erstellen und die für die Sanierung erforderlichen Vereinbarungen zu schließen.
a) Stundungsvereinbarungen
Rz. 200
Stundungen können in der Form von Moratorien, Ratenzahlungs- und/oder reinen Stundungsvereinbarungen erwirkt werden. Diese sind, soweit verbindlich vereinbart, sämtlich geeignet, die aktuelle Fälligkeit der Verbindlichkeiten zu beseitigen und den Zeitpunkt der (erneuten) Fälligkeit zeitlich nach hinten zu verschieben. Auf diese Weise wird sofort die aktuelle Liquiditätssituation des Unternehmens verbessert und bei ausreichendem Umfang die Zahlungsunfähigkeit verhindert bzw. beseitigt.
Erzwungene "Stundungen", etwa von nicht bezahlten Arbeitnehmern, die aus anderen, oft nahe liegenden Gründen nicht sofort klagen, sind nicht wirksam, stehen also der Notwendigkeit zur Berücksichtigung der Verbindlichkeiten bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit nicht entgegen.
Rz. 201
Stundungsvereinbarungen bedürfen zu ihrer Wirksamkeit keiner bestimmten Form. Auch mündliche Vereinbarungen sind wirksam. Ggf. empfiehlt es sich, eine mündliche Vereinbarung entweder durch den rechtlichen Berater treffen zu lassen (Beweisfunktion) oder schriftlich zu bestätigen.
Rz. 202
Praxishinweis
Bei der erstmaligen Stundungsvereinbarung sollte darauf geachtet werden, dass die Stundungszeiträume nicht zu kurz gewählt werden, damit nicht die Gefahr heraufbeschworen wird, nach Ablauf eines ersten Stundungszeitraums abermals aus Mangel an liquiden Mitteln um Stundungen bitten zu müssen.
Rz. 203
Nach meiner Erfahrung sind Gläubiger häufig bereit, Stundungszeiträume von bis zu 3 Monaten zu akzeptieren, wenn ihnen anhand der Liquiditätsplanung plausibel dargelegt wird, dass dann die Zahlungen – ggf. ratierlich – wieder aufgenommen werden, und wenn ihnen für den Fall der Vereinbarung einer Stundung eine sofortige Abschlagszahlung in Aussicht gestellt wird. Es versteht sich von selbst, dass für jegliche Inaussichtstellung von Zahlungen eine genaue, konservative Liquiditätsplanung erforderlich ist.
Rz. 204
Eine Stundung beseitigt nicht die Überschuldung.
b) Vollstreckungsschutzvereinbarungen
Rz. 205
Als nicht ausreichend wurden bloße Vereinbarungen über einen Aufschub von Vollstreckungs- oder Rechtsverfolgungsmaßnahmen mit den Gläubigern angesehen, da diese die Fälligkeit der Verbindlichkeit nicht beseitigen. Ob dies auch im Hinblick auf die jüngsten Entscheidungen des BGH zum Kriterium der ernstlichen Einforderung bei der Zahlungsunfähigkeitsprüfung noch gilt, erscheint mir fraglich. Danach ist eine Forderung i.d.R. dann i.S.d. § 17 Abs. 2 InsO fällig, wenn eine Gläubigerhandlung feststeht, aus der sich der Wille, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen, im Allgemeinen ergibt. Weiterhin sind Forderungen, deren Gläubiger sich für die Zeit vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit einer späteren oder nachrangigen Befriedigung einverstanden erklärt haben, bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht zu berücksichtigen, auch wenn keine rechtlich bindende Stundungsvereinbarung getroffen worden ist. Nach dieser Rspr. könnte eine vollstreckungsrechtliche Vereinbarung ausreichend sein, wenn sie zweifelsfrei dahingehend auszulegen ist, dass sich der Gläubiger mit einer späteren Befriedigung einverstanden erklärt hat.
Rz. 206
Die Abgrenzung einer bloßen vollstreckungsrechtlichen von einer wirksamen Stundungsvereinbarung ist vom Tatrichter vorzunehmen. Dabei spricht das Weiterlaufen von Zinsen nicht zwingend gegen eine Stundungsvereinbarung. Die Formulierung "Bei Nichteinhaltung der Bedingungen ist der Restbetrag zur sofortigen Zahlung fällig" belegt eine Stundungsvereinbarung.
c) Stillhalteabsprachen
Rz. 207
Nach meinem Dafürhalten reichen nach den Entscheidungen des BGH zum Kriterium der ernstlichen Einforderung bei der Zahlungsunfähigkeitsprüfung auch sog. Stillhaltevereinbarungen aus, die betreffende Verbindlichkeit bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit nicht mehr zu berücksichtigen. Solche Vereinbarungen mit dem Gläubiger, dass er einstweilen von ernsthafter Einforderung absieht, sind rein tatsächliche Stundungen, also solche ohne Rechtsbindungswillen des Gläubigers. Wegen der evtl. späteren retrograden Prüfung der Zahlungsunfähigkeit sollte aber auf genaue Dokumentation ihres Zustandekommens geachtet werden (wann wurde mit wem was genau vereinbart?).
Rz. 208
Sagt der Gläubiger der Schuldnergesellschaft zu, die Forderung (derzeit) nicht ernsthaft einzufordern, kann ein auf Haftung nach § 128 HGB in Anspruch genommener Gesellschafter die Zahlung ebenfalls verweigern. Auch der Bürge kann sich nach § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB auf die Stillhalteabsprache zwischen Hauptschuldner und Gläubiger b...