Rz. 855
Ein Problem für den (vorläufig) eigenverwaltenden Schuldner bzw. dessen Geschäftsführer besteht in den zahlreichen Haftungsgefahren, die grds. auch den Sanierungs-Geschäftsführer unverändert treffen können und die von der Rspr. noch keineswegs abschließend geklärt sind. Zu den Haftungsgefahren gehören bspw. die Haftungen wegen Verletzung der Sorgfaltspflichten des ordentlichen Geschäftsmannes nach § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 AktG, wegen verbotener Zahlungen nach § 15b InsO, die Steuerhaftung nach §§ 69, 34 AO und die Haftungen wegen nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB. Außerdem bestehen die Haftungsgefahren nach §§ 60 – 62 InsO.
a) Nicht gebotene Insolvenzantragstellung
Rz. 856
Zu beachten ist zunächst, dass für Geschäftsführer von Gesellschaften – auch nach Einführung der "Incentivierung" durch die Möglichkeit des Schutzschirmverfahrens (heute § 270d InsO) – die eigenmächtige Insolvenzantragstellung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit regelmäßig eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers sein dürfte, weil die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ein Auflösungstatbestand für die Gesellschaft ist und die Entscheidung über die Auflösung der Gesellschaft den Gesellschaftern zugewiesen ist. Der Geschäftsführer muss also vor Stellung eines Insolvenzantrages über das Vermögen der Gesellschaft wegen drohender Zahlungsunfähigkeit die Weisung bzw. das Einverständnis der Gesellschafterversammlung einzuholen. Der Beschluss bedarf mangels anderer Regelung im Gesellschaftsvertrag der 3/4-Mehrheit (etwa entspr. § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG).
b) Legalitätspflicht
aa) Spezifische Insolvenzrechtliche Pflichten
Rz. 857
Der Geschäftsführer des (vorläufig) eigenverwaltenden Schuldners hat selbstverständlich die spezifischen insolvenzverfahrensrechtlichen Pflichten, vergleichbar den Pflichten des (vorläufigen) Insolvenzverwalters zu wahren, zu welchen u.a. gehören:
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Sicherung der Insolvenzmasse, |
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Beachtung von Aus- und Absonderungsrechten, |
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ordnungsgemäße Fortführung des Unternehmens unter Aufrechterhaltung des Zahlungsverkehrs, soweit nicht der (vorläufige) Sachwalter die Kassenführung nach §§ 270a Abs. 2, 270b Abs. 2, 270c, 275 Abs. 2 InsO an sich gezogen hat (zur evtl. Haftung des Geschäftsführers nach § 15b InsO s.u. Rdn 866 ff.), |
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Erstellung und Erstattung der Berichte an die Gläubigerversammlung, § 156 InsO, |
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Ausübung der Wahlrechte nach § 103 ff. InsO. |
bb) Pflicht zur Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsmannes
Rz. 858
Nach ganz h.M. hat der Geschäftsführer in (vorläufiger) Eigenverwaltung die allgemeinen Sorgfaltspflichten gegenüber der Gesellschaft etwa nach §§ 43 Abs. 1 GmbHG, 93 Abs. 1 AktG zu beachten. Dabei ist das vom Geschäftsführer zu befolgende Interesse entsprechend dem Zweck des Insolvenzverfahrens des Befriedigungsinteresse der Gläubigergesamtheit. Ob der (vorläufige) Eigenverwalter für unternehmerische Fehlentscheidungen im Rahmen der Betriebsfortführung haftet, ist somit nach dem Insolvenzzweck der bestmöglichen gemeinschaftlichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger unter Berücksichtigung der von ihnen getroffenen Entscheidungen zu beurteilen. Eine Innenhaftung wegen Verletzung der den Schutz des Gesellschaftsinteresses (und damit des Befriedigungsinteresses der Gläubigergesamtheit) bezweckenden allgemeinen Sorgfaltsnormen der §§ 43 GmbHG, 93 AktG könne hingegen zumindest eingeschränkt bzw. ergänzend in Betracht kommen, zumal deren Anwendung nach der Entscheidung des BGH zur Außenhaftung analog §§ 60, 61 InsO (s.u. Rdn 862) nicht verdrängt ist. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG und die sog. business judgement rules sind aber nicht entsprechend anwendbar; § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO eröffnet einen ausreichenden Rechtsrahmen.
Außerdem hat er den Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit unverzüglich anzuzeigen (§ 270d Abs. 4 Satz 1 InsO).
Rz. 859
Die Rechtsfolge der Verletzung dieser Pflichten ist, soweit ersichtlich, noch nicht ausgeurteilt. Nach der wohl h.M. führen Verletzungen der vg. Pflichten zur Haftung der Geschäftsleiter nach §§ 43 Abs. 2 GmbHG, 93 Abs. 2 AktG. Trotz der Ausrichtung des Gesellschaftsinteresses am Gläubigerinteresse bleibt die Haftung des Geschäftsführers nach diesen Vorschriften reine Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft, die der Sachwalter geltend machen könnte, § 280 InsO. Dies hat der BGH in seiner Entscheidung zur Außenhaftung des eigenverwaltenden Geschäftsleiters gegenüber Gläubig...