I. Insolvenzgesellschaftsrecht
Rz. 1
Der – freilich nicht exakt definierte – Bereich des Insolvenzgesellschaftsrechts umfasst die Schnittstelle zwischen den beiden Rechtsgebieten, mithin die gesellschaftsrechtlichen Regelungen, Pflichten und Möglichkeiten in der Insolvenz und die insolvenzrechtlichen Pflichten und Haftungsgefahren in der Gesellschaft. Dabei sind die Bezüge zwischen Gesellschafts- und Insolvenzrecht sehr vielfältig.
Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Gesellschaft oder die Abweisung des Eröffnungsantrages mangels Masse führen zur Auflösung (nicht Löschung) der Gesellschaft (z.B. § 60 Abs. 1 Nr. 3 u. 4 GmbHG).
Seit je her wirkten und wirken einige gesellschaftsrechtliche Regelungen überhaupt erst im Insolvenzverfahren (z.B. § 32a Abs. 1 GmbHG a.F., § 171 Abs. 2 HGB) bzw. bei Eintritt materieller Insolvenzreife (z.B. § 64 GmbHG a.F., heute § 15b InsO). Andere geben den gesellschaftsrechtlichen Regelungen Vorrang vor denjenigen des Insolvenzrechts (z.B. § 84 Abs. 1 InsO) und umgekehrt (vgl. etwa § 225a InsO). Einige insolvenzrechtliche Regelungen sind nur mit vertieftem Verständnis des Gesellschaftsrechts zutreffend anwendbar (z.B. §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO, § 171 Abs. 2 HGB). Die enge Verzahnung beider Rechtsgebiete wirft immer wieder Fragen der Zuordnung einzelner Normen zum Gesellschafts- oder Insolvenzrecht auf und wird auch durch die wechselnde Verortung einiger Regelungen im Gesellschafts- oder Insolvenzrecht deutlich, so z.B. die Verlagerung der Insolvenzantragspflicht und der bei Insolvenzreife verbotenen Zahlungen aus den die Gesellschaften betreffenden Gesetzen (§ 64 GmbHG a.F. für die GmbH, §§ 92, 268 AktG a.F. für die AG, §§ 278 Abs. 3, 283 Nr. 14 AktG a.F. für die KGaA, §§ 130a und 177a HGB a.F. für GmbH & Co. KG, § 99 GenG a.F. für die Genossenschaft) in die InsO (§§ 15a und 15b InsO) durch das MoMiG bzw. das SanInsFoG. Diese Fragen haben ganz erhebliche praktische Auswirkungen, etwa diejenige, ob die Regelungen auch für Geschäftsleiter ausländischer, im Inland tätiger und anerkannter haftungsbeschränkter Gesellschaften gelten. Das war für die Erstattungspflicht verbotener Zahlungen im Stadium der Insolvenzreife der Gesellschaft nach § 64 Satz 1 u. 2 GmbHG a.F. für den director einer englischen "Limited" – freilich für die Zeit, in der diese Gesellschaft im Inland anerkannt war, also bis zum Austritt Großbritanniens aus der EU – nach Vorlage durch den BGH vom EuGH mit "schlanker" Begründung und anschließend vom BGH entschieden worden, da es sich um insolvenzrechtliche Regelungen handelte. Durch die spätere Verortung in der InsO (§ 15b InsO) folgte der Gesetzgeber dieser Rspr. klarstellend.
Rz. 2
Eine weitere, in ihren Abgrenzungen nach wie vor nicht genau herausgearbeitete Verzahnung von Insolvenz- und Gesellschaftsrecht stellt die Eingriffsmöglichkeit in die Gesellschafterrechte der Anteilseigner im Insolvenzplanverfahren über das Vermögen der Gesellschaft dar (vgl. etwa §§ 217 Abs. 1 Satz 2, 225a InsO). Vergleichbare Abgrenzungsfragen stellen sich im Sanierungsrecht nach dem StaRUG, da auch hier die Möglichkeit des Eingriffs in die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner im gerichtlichen Restrukturierungsverfahren der Gesellschaft geschaffen wurden (§ 2 Abs. 3 StaRUG).
Rz. 3
Schließlich sind die Fragen nach den insolvenzrechtlichen Pflichten der Gesellschaftsorgane (s.u. Rdn 464 ff.) und den gesellschaftsrechtlichen Befugnissen des Insolvenzverwalters (s.u. Rdn 794 ff.) zu beantworten. Zu Recht kann also von einem Insolvenzgesellschaftsrecht gesprochen werden.
II. Erhöhte Haftungsgefahren, Erforderlichkeit der Krisenprophylaxe
Rz. 4
Mit Eintritt der Krise der Gesellschaft entstehen für den in Krise und Sanierung der Gesellschaft handelnden Personenkreis – Geschäftsführer, Gesellschafter, Berater, Kreditinstitute, etc. – erhebliche persönliche zivil- und strafrechtliche Haftungsgefahren. Gesetzgebung und Rspr. zeigen seit vielen Jahren eine Entwicklung, die vielfältigen Haftungsgefahren für den in der Krise und Sanierung der (haftungsbeschränkten) Gesellschaft handelnden Personenkreis – Geschäftsführer, Gesellschafter, Kreditinstitute und auch Berater (!) – erheblich zu verschärfen; dieses gesetzgeberische und richterliche Streben nach mehr Organverantwortlichkeit entspricht auch der Erwartungshaltung in der Öffentlichkeit.
Rz. 5
U.a. durch Realisierung der Haftungen des vorgenannten Personenkreises hat der Insolvenzv...