I. Vorbemerkungen
Rz. 24
Praxishinweis
Alle vorliegenden Untersuchungen zeigen, dass Eigeninsolvenzanträge, insb. über das Vermögen einer GmbH, häufig nicht innerhalb der gesetzlichen Fristen gem. § 15a Abs. 1 InsO, sondern nicht selten stark verzögert, mitunter erst mehr als 1 Jahr nach Eintritt der materiellen Insolvenzreife der Gesellschaft gestellt werden und so die Insolvenz verschleppt wird. Es scheint also ein Kernproblem des Insolvenzrechts zu sein, die Insolvenzreife der Gesellschaft und damit die bei der GmbH als haftungsbeschränkter Gesellschaften bestehende Insolvenzantragspflicht der Geschäftsführung rechtzeitig zu erkennen und danach zu handeln.
Rz. 25
Für Geschäftsleitungen aller haftungsbeschränkter Gesellschaften, also solcher Gesellschaften, die keine natürliche Person als Vollhafter haben, besteht nach § 15a Abs. 1 und 2 InsO bei Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung die unbedingte, strafbewehrte Insolvenzantragsverpflichtung. Allein dies ist Anlass genug, die Prüfung der Insolvenzreife der Gesellschaft ausnahmslos an den Anfang jedes Sanierungsmandats zu stellen.
Für den Vorstand des rechtsfähigen Vereins besteht bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung die Insolvenzantragspflicht nach der Sonderregelung in § 42 Abs. 2 BGB, die der allgemeinen Vorschrift des § 15a InsO als lex specialis vorgeht.
Rz. 26
Für die Prüfung des Vorliegens der Insolvenzeröffnungsgründe kann ergänzend auf Entwurf einer Neufassung des Standards zur Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen des Instituts der Wirtschaftsprüfer e.V. (IDW ES 11 n.F.) vom 27.09.2022 zurückgegriffen werden, der die bis dahin ergangenen gesetzlichen und höchstrichterlichen Anforderungen an die Beurteilung der Insolvenzreife berücksichtigt.
II. Überschuldung
Rz. 27
Für juristische Personen des Privatrechts (z.B. GmbH, AG, e.G.) nach § 19 Abs. 1 InsO und für haftungsbeschränkte Gesellschaften ohne natürliche Person als Vollhafter (z.B. GmbH & Co.KG) ist nach § 19 Abs. 3 InsO neben Zahlungsunfähigkeit auch die Überschuldung ein Grund für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Überschuldung geht der Zahlungsunfähigkeit nicht selten zeitlich (lange) voraus.
1. Definition
Rz. 28
Nach wiederholten Gesetzesänderungen (Inkrafttreten der InsO, FMStG, SanInsFoG und vorübergehend SanInsKG) ist "Überschuldung" in § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO wie folgt definiert:
Zitat
"Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich."
Überschuldung i.S.d. InsO liegt somit nur vor, wenn zwei Tatbestandsmerkmale
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rechnerische Überschuldung und |
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Fehlen einer positiven Fortführungsprognose |
gegeben sind.
Rz. 29
Zu diesem zweistufigen Überschuldungsbegriff ist auf folgende Umstände und Zweifelsfragen hinzuweisen:
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Eine (positive) Prognose ist stets, besonders aber in einer Krise des Unternehmens mit erheblichen Unsicherheiten behaftet und hat daher oft eine nur geringe Aussagekraft. Da die positive Prognose die rechnerische Überschuldung nicht beseitigt, wird durch den gelockerten Überschuldungsbegriff das Ausfallrisiko für die Gläubiger dadurch erhöht, dass die Teilnahme eines Unternehmens mit unzureichender Vermögensausstattung am Geschäftsverkehr weiterhin möglich ist; das galt umso mehr für den vorübergehend (bis 31.12.2023) kurzen Prognosezeitraum von nur vier Monaten. Die Gläubiger tragen also das Prognoserisiko. |
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Die Wiedereinführung des zweistufigen Überschuldungsbegriffs (durch das FMStG) wäre entbehrlich gewesen, wenn man sich der in der betriebswirtschaftlichen Lit. auch vertretenen Ansicht angeschlossen hätte, dass bei positiver Prognose im Überschuldungsstatus der Firmenwert (Goodwill) angesetzt werden kann. Bei positiver Fortführungsprognose ist der Unternehmenswert als Preis zukünftiger Zahlungsströme nämlich regelmäßig positiv. |
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Der geänderte Überschuldungsbegriff ändert nichts am gleichsam die strafbewehrte Insolvenzantragspflicht auslösenden Insolvenz... |