Rz. 160
Die für eine Entlastung des Überschuldungsstatus erforderliche Rangtiefe des Rangrücktritts war umstritten.
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Es wurde vertreten, ausreichend sei eine (vom Schuldner anzunehmende) Erklärung des Gläubigers, mit seiner Forderung in den Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO zurückzutreten. |
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Auch wurde vertreten, dass ein Rücktritt hinter alle Gläubiger in den Rang des § 39 Abs. 2 InsO erforderlich sei. Danach kann der Anspruch auf Rückzahlung einer solchen Forderung im Insolvenzverfahren nur im letzten Nachrang geltend gemacht werden. |
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Die strengste Auffassung verlangte die darüber hinaus gehende Erklärung, mit der Forderung bis in den Rang des § 199 Satz 2 InsO zurückzutreten, also einen Gleichrang mit den Ansprüchen auf Rückgewähr von Einlagen herzustellen und die Forderung wie statuarisches Haftkapital behandeln zu lassen (sog. qualifizierter Rangrücktritt). Diese Auffassung stützte sich auf die Entscheidung des BGH v. 8.1.2001 in einem Fall des Rangrücktritts durch einen Gesellschafter für seine Forderung und eine weitere Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2010, nach der die Passivierungspflicht eines Gesellschafterdarlehens im Überschuldungsstatus besteht, wenn kein qualifizierter Rangrücktritt vorliegt. Qualifiziert sei der Rangrücktritt, wenn Befriedigung nicht vor einem Liquidationserlös oder zumindest erst an letzter Stelle innerhalb der Klasse nach § 39 Abs. 2 InsO verlangt werden könne. |
Rz. 161
Für Forderungen eines Gesellschafters aus Darlehen oder aus Rechtshandlungen, die einem Darlehen wirtschaftlich entsprechen, ist dieser Meinungsstreit durch § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO entschieden. Danach ist für die Nichtberücksichtigung bei der Überschuldungsprüfung ein Rangrücktritt gem. § 39 Abs. 2 InsO hinter die Forderungen gem. § 39 Abs. 1 Nr. 1–5 InsO erforderlich und ausreichend. Auch in seiner noch zur alten Rechtslage ergangenen Entscheidung hat der BGH zum Ausdruck gebracht, dass er für die Wirksamkeit des Rangrücktritts nicht mehr am Erfordernis der Gleichstellung mit statuarischem Haftkapital festhält, sondern den Rangrücktritt in den Rang des § 39 Abs. 2 InsO a.F. für ausreichend hält.
Rz. 162
Ob diese Regelung auch für den Rangrücktritt eines Fremdgläubigers gelten würde, war nicht eindeutig zu beantworten, weil der Wortlaut des § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO nur Gesellschafterdarlehen nennt. Ich war der Auffassung, dass es für die übrigen Gläubiger des Schuldners, die durch den Rangrücktritt geschützt werden sollen, unerheblich ist, ob die rückgetretene Forderung vorrangig vor oder gleichrangig mit den Ansprüchen der Gesellschafter auf Rückzahlung ihrer Darlehen oder auf Rückzahlung des statuarischen Haftkapitals erfüllt wird, solange sie nur den zu schützenden (Fremd-)Gläubigern gegenüber nachrangig ist. Nunmehr hat der BGH auch für den Rangrücktritt eines Nichtgesellschafters entschieden, dass der Rangrücktritt hinter die Forderungen nach § 39 Abs. 1 InsO (also in den Rang des § 39 Abs. 2 InsO) für die Nichtberücksichtigung der Verbindlichkeit bei der Überschuldungsprüfung erforderlich und ausreichend ist.
Rz. 163
Fraglich bleibt, ob in der Rangrücktrittserklärung differenziert und festgelegt werden kann, dass die Forderung zwar den Nachrang des § 39 Abs. 2 InsO erhält, innerhalb dieses Nachranges aber vor den ebenfalls rückgetretenen Darlehensrückgewähransprüchen der Gesellschafter bedient werden soll. Zwar würde ich auch dies bejahen; zur Empfehlung des sicheren Weges sollte aber bis zur gerichtlichen Entscheidung dieser Frage ein Rücktritt jedenfalls in den – undifferenzierten – Rang des § 39 Abs. 2 InsO vereinbart werden. Als Ausweg kann sich anbieten, außerhalb des Rangrücktritts mit den Gesellschaftern die (meist ohnehin theoretische) Befriedigungsreihenfolge innerhalb des Rangs nach § 39 Abs. 2 InsO zu vereinbaren.
Rz. 164
Im Ergebnis bedeutet dies, dass ein Gläubiger mit seinem Anspruch hinter alle anderen Gläubiger zurücktritt und die (zunächst nur theoretische) Möglichkeit behält, im Fall einer Befriedigung sämtlicher anderer Gläubiger aus dem verbleibenden Rest befriedigt zu werden.
Rz. 165
Die Rangrücktrittsvereinbarung wird häufig als "Notbremse" eingesetzt und Gläubigern im Bereich der ungesicherten Forderungen angedient, um eine akute Überschuldung zu beseitigen und so die Zeit und die Möglichkeit für die Erstellung eines tragfähigen Sanierungskonzepts zu gewinnen. In der Krise sollten jedenfalls für die – nach alter Rechtslage eigenkapitalersetzenden und nach neuer Rechtslage ohnehin nachrangigen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) – Darlehen der Gesellschafter Rangrücktrittsvereinbarungen geschlossen werden (wegen § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO).