Rz. 52

Die Fälligkeit einer Geldschuld bestimmt sich nach dem für sie geltenden Recht, etwa § 271 Abs. 1 BGB. Die laufenden kurzfristigen Verbindlichkeiten sind nach den üblichen Zahlungszielen als fällig zu beurteilen. Bei Ratenzahlungsvereinbarungen sind die jeweils fälligen Raten mit ihren Fälligkeitszeitpunkten zu berücksichtigen, wenn die Ratenabrede in Kenntnis des Unvermögens getroffen wurde, die ganze Verbindlichkeit bei sofortiger Fälligkeit zu begleichen.[117]

 

Rz. 53

Problem: Sind einwendungs- oder einredebehaftete Forderungen fällig i.S.d. § 17 InsO[118] und/oder kann Zahlungsunfähigkeit aufgrund lediglich vorläufig vollstreckbarer Zahlungstitel (etwa bei streitiger Verbindlichkeit oder bei streitigen Steuerfestsetzungen, etc.) eintreten?

 

Rz. 54

Abschließende Rspr. zur InsO liegt hierzu, so weit ersichtlich, noch nicht vor. Zur KO hatte der BGH entschieden, dass ein vorläufig vollstreckbarer Titel aufgrund eines erstinstanzlichen, nicht rechtskräftigen Urteils nicht zur Zahlungsunfähigkeit führt, wenn diese allein von der titulierten Forderung abhängt.[119] Dem hat sich für die Rechtslage nach der InsO das AG Frankfurt/O. angeschlossen: eine ernsthaft bestrittene Forderung, die insolvenzbegründend bestehen soll, ist in aller Regel erst nach rechtskräftiger oder sonstiger die Parteien bindender Klärung bei der Zahlungsunfähigkeitsprüfung zu berücksichtigen.[120] Zum Gläubiger-Insolvenzantrag hat der BGH entschieden, dass der Gläubiger auf den ordentlichen Rechtsweg zu verweisen ist, wenn seine Forderung nicht frei von Einreden oder Einwendungen ist.[121]

 

Rz. 55

Die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheides, an dessen Rechtmäßigkeit Zweifel bestehen, führt dazu, dass die Verbindlichkeit bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht zu berücksichtigen ist[122] Eine zunächst verweigerte, später bewilligte Stundung der Steuerforderung führt aber nicht rückwirkend zur Zahlungsfähigkeit des Schuldners.[123]

 

Rz. 56

In der Lit. werden unterschiedliche Auffassungen vertreten, und zwar:

Für die Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 InsO kommt es nicht auf die "formelle" Zahlungspflicht bzw. "formelle" Fälligkeit an, sondern auf den materiellen Bestand der Verbindlichkeit.[124] Wenn der Geschäftsführer mit guten, objektiven Gründen aus der ex ante-Betrachtung annehmen darf, dass die Verbindlichkeit nicht besteht, ein evtl. anhängiger Prozess also gewonnen wird, darf die vom Gläubiger erhobene Forderung (aus der Sicht des Schuldners die evtl. Verbindlichkeit) bei der Zahlungsunfähigkeitsprüfung unberücksichtigt bleiben. Dies gilt insbesondere, wenn gerade diese Verbindlichkeit die Zahlungsunfähigkeit begründen würde.[125] Dieser Auffassung würde ich den Vorzug geben;
streitige Verbindlichkeiten sind stets zu bewerten und mit dem Prozentsatz anzusetzen, der der Wahrscheinlichkeit ihres Bestreitens entspricht;[126]
streitige Verbindlichkeiten sind nur zu berücksichtigen, wenn wenigstens ein vorläufig vollstreckbarer Titel vorliegt.[127]
 

Hinweis

Rechtskräftig titulierte Forderungen sind unabhängig von der materiellen Rechtslage und damit der Richtigkeit des Urteils bei der Zahlungsunfähigkeitsprüfung i.S.d. § 17 InsO stets zu berücksichtigen.[128]

[117] OLG Saarbrücken, ZInsO 2012, 1724.
[118] S.a. Brete/Thomsen, GmbHR 2008, 912 ff.
[119] BGH, ZIP 1992, 947.
[120] AG Frankfurt/O., NZG 2020, 27 (für den Straftatbestand der Insolvenzverschleppung).
[124] Uhlenbruck, ZInsO 2007, 338 ff.
[125] So auch Leithaus/Wachholtz, ZIP 2019, 649 ff.
[126] Schmidt/Roth, ZInsO 2006, 236 ff.
[127] Höffner, DStR 2008, 1787 ff.
[128] BGH, ZIP 2018, 2178 (für die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit im Bankrott-Strafverfahren).

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