Rz. 327
Den Tatbestand des existenzvernichtenden Eingriffs erfüllt der planmäßige Entzug von Gesellschaftsvermögen durch Vereinnahmung von der Gesellschaft zustehenden Forderungen durch den (Allein-)Gesellschafter, ebenso das Entziehen einer gegen den Alleingesellschafter-Geschäftsführer gerichteten Forderung der Gesellschaft durch Erwirken eines klageabweisenden Versäumnisurteils. Im letztgenannten Fall ist der Ausweis der Forderung in der Bilanz der Gesellschaft ein starkes Beweisindiz für deren Bestehen.
Rz. 328
Allerdings ist der Einzug von Forderungen der Gesellschaft auf einem Konto des Gesellschafters kein existenzvernichtender Eingriff, wenn er von diesem die Gesellschaftsverbindlichkeiten begleicht und erhebliches eigenes Vermögen zuschießt.
Rz. 329
Die Veräußerung von Gesellschaftsvermögen unter Wert an eine Gesellschaft, die wiederum von den Gesellschafter-Geschäftsführern abhängig ist, kann auch existenzvernichtender Eingriff sein.
Rz. 330
Die Frage, ob die Haftung wegen Existenzvernichtung auch eingreifen kann, wenn der Gesellschaft von vornherein die Fähigkeit vorenthalten wurde, die vorhersehbaren Risiken ihres Geschäftsbetriebes zu bewältigen und ihren Verbindlichkeiten nachzukommen (sog. Aschenputtel-Gesellschaft) hat der BGH verneint und zur Begründung ausgeführt: Der existenzvernichtende Eingriff als besondere Fallgruppe der sittenwidrig vorsätzlichen Schädigung der Gesellschaft nach § 826 BGB setzt einen kompensationslosen "Eingriff" in das im Gläubigerinteresse zweckgebundene Gesellschaftsvermögen voraus. Dem steht ein Unterlassen hinreichender Kapitalausstattung i.S.e. Unterkapitalisierung nicht gleich. Es besteht für die Statuierung einer allgemeinen verschuldensabhängigen oder gar verschuldensunabhängigen Haftung des Gesellschafters wegen materieller Unterkapitalisierung mangels Lücke im Haftungssystem des GmbHG kein Raum. Bloßes Unterlassen einer ausreichenden Kapitalisierung ist also kein kompensationsloser Eingriff in das im Interesse der Gläubiger gebundene Vermögen. Freilich ist dies abzugrenzen von einem wiederum haftungsbegründenden vorsätzlichen Missbrauch der Rechtsform (s.o. Rdn 317).
Rz. 331
Probleme im Hinblick auf die Existenzvernichtungshaftung (und die Kapitalerhaltungsregelungen) können sich auch beim LBO ergeben, wenn das Vermögen der erworbenen Gesellschaft als Sicherheit für die Finanzierung des Anteilskaufs gegeben wird.
Rz. 332
Ein existenzvernichtender Eingriff im Rahmen der Gewinnverteilung durch die Konzernmutter ist nicht gegeben, wenn zugleich eine Patronatserklärung vorliegt.
Rz. 333
Kein existenzvernichtender Eingriff sind Managementfehler des Gesellschafter-Geschäftsführers, da die Haftung wegen eines existenzvernichtenden Eingriffs einen betriebsfremden Zwecken dienenden Eingriff voraussetzt. Auch ist für die Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs ein Eingriff in den Haftungsfonds der Gesellschaft allgemein Voraussetzung. Der Entzug von Sicherungsgut eines einzelnen Gläubigers genügt dafür nicht.