Rz. 72
Die Feststellung der Zahlungseinstellung ihrerseits kann nicht nur durch eine Gegenüberstellung der beglichenen und offenen fälligen Verbindlichkeiten, sondern auch mithilfe von Indiztatsachen getroffen werden. Eine besonders aussagekräftige Grundlage für die Feststellung der Zahlungseinstellung ist die Erklärung des Schuldners, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können; dies gilt auch, wenn der Schuldner diese Erklärung mit einer Bitte um Ratenzahlung oder Stundung verknüpft. Ausnahmsweise ist die bloße Stundungsbitte des Schuldners kein Indiz für Zahlungseinstellung oder Zahlungsunfähigkeit, wenn sie sich im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs hält. Das gilt aber dann nicht, wenn der Schuldner zugleich kommuniziert, auch andere Verbindlichkeiten nicht begleichen zu können.
Fehlt es an einer solchen Erklärung, müssen die für eine Zahlungseinstellung sprechenden sonstigen Umstände ein einer solchen Erklärung entsprechendes Gewicht erreichen. Dabei kann die Zahlungseinstellung bereits aus einem einzelnen Indiz gefolgert werden, wenn dieses eine hinreichende Aussagekraft hat. Fehlt es an einer solchen Indiztatsache, kommt der Schluss auf eine Zahlungseinstellung nur aus einer Gesamtschau mehrerer Indizien in Betracht. Solche Indiztatsachen können sein:
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tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen/maßgeblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten, |
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das gilt auch für die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit, wenn wenn sie von insgesamt nicht unbeträchtlicher Höhe ist, |
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erhebliche Zahlungsrückstände, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr vollständig beglichen werden |
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fällige Verbindlichkeiten, die im für die Deckungsanfechtung oder gar für die Vorsatzanfechtung maßgeblichen Zeitraum bestanden haben und bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind, |
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verspätete Zahlungen über einen längeren Zeitraum = dauerhaft schleppende Zahlungsweise, |
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Nichtzahlung wichtiger, typischerweise bei Fälligkeit gezahlter Verbindlichkeiten wie Löhne und Sozialversicherungsbeiträge über einen längeren Zeitraum; nicht aber bei bloß um ca. 3 – 4 Wochen verspäteter Zahlung über einen längeren Zeitraum von 10 Monaten, beachte aber: |
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schleppende Zahlung von Löhnen und Gehältern kann doch Indiz für Zahlungseinstellung sein, ebenso verspätete Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen über mehrere Monate. |
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Nichtzahlung einer ersten Rate einer (erneuerten) Ratenzahlungsvereinbarung, |
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Nichteinhaltung vom Schuldner selbst erteilter Zahlungszusagen oder Vornahme verspäteter Zahlungen unter dem Druck einer angedrohten Liefersperre, |
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Ankündigung des Schuldners, die in den Vormonaten deutlich angewachsenen fälligen Forderungen des Gläubigers im Falle des Zuflusses neuer liquider Mittel nur durch eine Einmalzahlung und zwanzig Monatsraten zahlen zu können, |
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mehrfache Vollstreckungsverfahren gegen den Schuldner. |
Rz. 73
(Weitere) Anzeichen für Zahlungseinstellung können sein:
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Ein gekündigtes Bankdarlehen wird nicht bezahlt, ohne dass bereits wirksam eine Stundung vereinbart ist |
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Schleppende Zahlung von Löhnen und Gehältern |
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Bestehen von Steuer- und Gehaltsrückständen, Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen über einige Monate und Nichtzahlung erheblicher Forderungen von Gläubigern |
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Mehr als halbjährige Nichtbegleichung von Sozialversicherungsbeiträgen. |
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Ständig verspätete Begleichung von Forderungen, so dass der Schuldner ständig einen Forderungsrückstand vor sich herschiebt. |
Außerdem können als (verstärkende) Indizien für Zahlungseinstellung in Betracht kommen:
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Unerreichbarkeit des Schuldners, etwa bei Schließung des Ladenlokals, |
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Beweisvereitelung durch fehlende Bücher im Insolvenzverschleppungsprozess. |
Fazit und Praxishinweis
Die dargestellten Entscheidungen können zur Annahme bestehender Zahlungsunfähigkeit (mit den straf- und zivilrechtlichen persönlichen Haftungsfolgen für den Geschäftsführer) durch eine doppelte Rückschlusskette führen: aus Indiztatsachen wird auf Zahlungseinstellung geschlossen, die wiederum gesetzlich die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit begründet.
Rz. 74
Die Nichtzahlung einer einzelnen Verbindlichkeit über einen Zeitraum von mehr als drei Wochen begründet auch bei Verurteilung des Schuldners allein nicht den Eindruck von Zahlungsunfähigkeit und stellt auch keine Zahlungseinstellung dar. Ebenso wenig ist die bloße Stundungsbitte des Schuldners ein Indiz für Zahlungseinstellung oder Zahlungsunfähigkeit, wenn sie sich im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs hält. Anders ist das aber dann, wenn der Schuldner zugleich kommuniziert, auch andere Verbindlichkeiten nicht begleichen zu können.