Rz. 621
Nach der ständigen Rspr. des BGH und entgegen einer starken Meinung in der Lit. bestand die Ersatzpflicht nach § 64 GmbHG a.F. in voller Höhe jeder einzelnen verbotswidrig geleisteten Zahlung und nicht nur in Höhe des entstandenen Quotenschadens.
Eine wesentliche Neuerung findet sich nun in § 15b Abs. 4 InsO. Dort ist in Satz 1 geregelt, dass sämtliche entgegen dem Verbot in Abs. 1 geleisteten Zahlungen einzeln zu ersetzen sind. Das entspricht der bisherigen Regelung. Ist der Gläubigerschaft der Gesellschaft jedoch ein geringerer Schaden entstanden, wird die Ersatzpflicht des Geschäftsführers nach § 15b Abs. 4 Satz 2 InsO auf den Ausgleich dieses geringeren Schadens beschränkt.
Diese Regelung betrifft direkt die umstrittene Rechtsnatur der Ersatzpflicht:
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Ersatzanspruch eigener Art mit der Folge voller Ersatzpflicht jeder einzelnen verbotenen Zahlung (Trennungslehre, Einzelbetrachtung, so bisher der BGH) oder |
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Schadensersatzanspruch (Gesamtbetrachtung der Vermögenszu- und -abflüsse im Zeitraum der Insolvenzreife, so Teile der Lit.). |
Zwar wollte der Gesetzgeber ausweislich der Begründung zum RegE des SanInsFoG diesen grundsätzlichen Streit nicht entscheiden, scheint sich jedoch gegenüber der in der Lit. wiederholt geäußerten Kritik an der Rspr. des BGH zu öffnen und die Möglichkeit schaffen zu wollen, die Ersatzpflicht des Geschäftsführers auf den der Gläubigergesamtheit entstandenen geringeren Schaden zu begrenzen, wodurch dem Haftungstatbestand der sog. verbotenen Zahlungen seine bisherige überschießende Schärfe genommen würde.
Rz. 622
Nach meinem Dafürhalten gehörte die Rspr. zum Haftungstatbestand des § 64 GmbHG a.F. insgesamt auf den Prüfstand. Vor dem Hintergrund der durchschnittlich zu erwartenden Rechtskenntnisse von GmbH-Geschäftsführern (nicht selten des Unternehmers selbst) schienen mir die von der Rspr. im Laufe der Jahre immer größer gewordenen Anforderungen an den Geschäftsführer einerseits überzogen, andererseits betreffend die jüngsten Eingrenzungsversuche des BGH mit den Erwägungen zur Masseverkürzung für den "normalen" Geschäftsführer nicht mehr so nachvollziehbar, dass er sein Verhalten im Sanierungsgeschehen darauf einstellen könnte. Dies gilt umso mehr, als das vom Geschäftsführer im Bestreben der "Rettung" des Unternehmens unbemerkt angehäufte Haftungsvolumen nicht selten seine eigene, persönliche Insolvenz nach sich ziehen konnte. Aufgrund des klaren Wortlauts der Vorschrift sah sich der BGH an die Trennungstheorie gebunden, d.h. dass es war zu erwarten, dass er auch künftig auf jede einzelne Zahlung während der eingetretenen Insolvenzreife und nicht stattdessen mit der Einheitstheorie auf eine Saldoverkürzung im gesamten Verschleppungszeitraum abstellen würde. Daher schien mir der Gesetzgeber gefordert, weil sich der BGH "verrannt" zu haben schien. Das Argument, der BGH gebe mit den zahlreichen Entscheidungen zur Masseverkürzung dem Geschäftsführer keine Handlungsanweisung – diese sei eindeutig: Stellung des Insolvenzantrags bei Eintritt der Insolvenzreife -, sondern beschränke die Haftung auf die tatsächliche Masseverkürzung, war für die tatsächliche Praxis ein eher schwacher Trost.
Rz. 623
Die vorstehend dargestellte Neuregelung in § 15b Abs. 4 Satz 2 InsO mit der Begrenzung der Haftung auf den der Gläubigerschaft entstandenen geringeren Schaden scheint nun der Kritik an der Rspr. des BGH Rechnung zu tragen und, so bleibt aus der Sicht der Praxis zu hoffen, dass die Rspr. nun das Maß der Haftungsverantwortung der Geschäftsführer auf ein tragbares Maß beschränken wird.
Der Rspr. wird es bedürfen, denn die Neuregelung wird in der Lit. sehr unterschiedlich bewertet: von effektiver Haftungsbegrenzung bis hin zu annähernder Wirkungslosigkeit.
Rz. 624
Auszugehen ist zunächst davon, dass die Regelungssystematik mit § 15b Abs. 4 Satz 1 InsO die Vermutung enthält, dass jede verbotswidrig geleistete Zahlung einen Gesamtgläubigerschaden in genau ihrer Höhe verursacht. Daraus folgt, dass die Darlegungs- und Beweislast für einen geringeren Schaden der Gläubigergesamtheit beim Geschäftsführer liegt, weshalb diese Haftungsbeschränkung kein Selbstläufer oder Automatismus ist. Ob den Geschäftsführern die Darlegung und der Beweis eines geringeren Schadens der Gläubigerschaft in der Praxis gelingen wird, ob also die Regelung größere praktische Relevanz erlangt, wird wesentlich davon abhängen, wie der Gesamtgläubigerschaden zu berechnen sein wird und wie hoch die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast gesetzt werden. Würde man exakte Darlegung und Beweis eines geringeren Quotenschadens ähnlich dem der Altgläubiger bei der Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO verlangen, was auch dort regelmäßig kaum möglich ist, liefe die Regelung in Satz 2 praktisch leer. Würde man dem Geschäftsführer erlauben, pauschal zu behaupten, der Gläubigerschaft sei kein oder ein geringerer Schaden entstande...