Rz. 861
Nach Inkrafttreten des ESUG war zunächst ungeklärt, ob das Organ des eigenverwaltenden Schuldners die Außenhaftungen gegenüber den Gläubigern nach §§ 60, 61 InsO analog treffen können, etwa durch Masseverbrauch nach auf Antrag gem. § 270c Abs. 4 InsO zwingend zu erteilender Erlaubnis zur Begründung von Masseverbindlichkeiten, oder ob es bei der gesellschaftsrechtlichen Innenhaftung verbleibt.
Rz. 862
Entgegen der Vorinstanz, nach welcher eine analoge Anwendung der §§ 60, 61 InsO auf den (vorläufig) eigenverwaltenden Schuldner nicht in Frage komme, weil es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke fehle, hat der BGH unter genauer Abwägung der Haftungskonzepte entschieden, dass im eröffneten Eigenverwaltungsverfahren der Geschäftsleiter der Schuldnergesellschaft den Beteiligten gegenüber analog §§ 60, 61 InsO haftet. Zur Begründung hat der BGH darauf verwiesen, dass der eigenverwaltende Schuldner dem Insolvenzverwalter im Regelverfahren weitgehend gleichgestellt sei und eine Haftungsprivilegierung des Eigenverwalters gegenüber dem Insolvenzverwalter nicht zu rechtfertigen sei (Gleichklang von Verantwortung bzw. Kompetenz und Haftung). Die insolvenzrechtliche Außenhaftung des Geschäftsleiters des eigenverwaltenden Schuldners gegenüber den geschädigten Gläubigern sei also erforderlich, weil sonst eine Schlechterstellung der Gläubiger bzw. Beteiligten im Eigenverwaltungsverfahren gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren i.S.d. 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO a.F. nicht auszuschließen sei. Weitere Begründung ist, dass gerade bei Einzelschäden individueller Beteiligter (im entschiedenen Fall Warenlieferanten als Masseverbindlichkeit) durch die bloße Innenhaftung gem. den gesellschaftsrechtlichen Haftungstatbeständen kein befriedigender Ausgleich zu erreichen sei, denn der Schadensersatz fließe in die Masse und nicht an den einzelnen geschädigten Gläubiger.
Rz. 863
M.E. musste diese Entscheidung wegen des Gleichlaufs von Kompetenz und Haftung auch für den Geschäftsführer in der vorläufigen Eigenverwaltung gelten, da die tragenden Entscheidungsgründe auch hier zutreffen. Zumindest soweit er zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigt war und solche begründet hat, haftet er den Massegläubigern nach §§ 60, 61 analog. Durch Art. 5 SanInsFoG wurde in § 276a Abs. 2 u. 3 InsO nunmehr gesetzlich geregelt, dass der Geschäftsführer des (auch vorläufig) eigenverwaltenden Schuldners nach Maßgabe der §§ 60–62 InsO haftet, also die Interessen der Gläubigergesamtheit zu wahren hat und der insolvenzverfahrensspezifischen Massesicherungspflicht unterliegt.
Die weitere Frage, ob neben den Außenhaftungen nach §§ 60 – 62 InsO zusätzlich die Haftungen des (vorläufig) eigenverwaltenden Geschäftsleiters nach den gesellschaftsrechtlichen Haftungsnormen, etwa §§ 43 GmbHG oder § 93 AktG oder nach § 15b InsO eingreifen (hierzu s.u. Rdn 866 ff.), ist nicht geregelt.
Rz. 864
Keine Aussage enthalten die BGH-Entscheidung und die neue gesetzliche Regelung auch zu der Frage, ob die Außenhaftung nach §§ 60, 61 InsO analog auch einen faktischen Geschäftsführer, etwa einen Sanierungsmanager (Chief Restructuring Officer, CRO) treffen kann, der zwar nicht in der Organfunktion, jedoch mit umfassenden Vollmachten oder gar einer Generalvollmacht ausgestattet oder als bestellter Prokurist tätig wird. Aus Gründen anwaltlicher Vorsicht mit Rücksicht auf die Rspr. zur Haftung des sog. faktischen Geschäftsführers würde ich dies in der Beratung annehmen. Sollte das nicht der Fall sein, so wird in der Lit. auch argumentiert, könnte die Anordnung der Eigenverwaltung mit einem solchen nicht als Organ bestellten Sanierungsmanager evtl. sogar als für die Gläubiger nachteilig i.S.d. §§ 270e Abs. 2 Satz 1, 272 Abs. 1 Nr. 2 InsO anzusehen sein.