Rz. 43

Bis zur Gesetzesänderung durch das SanInsFoG war der Prognosezeitraum nicht gesetzlich geregelt und umfasste nach der h.M. in Rspr.[97] und Lit.[98] als "Faustregel"[99] das laufende und das folgende Geschäftsjahr.

Durch das SanInsFoG[100] ist der Prognosezeitraum in § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO nunmehr gesetzlich auf 12 Monate festgelegt, wodurch eine Abgrenzung zur drohenden Zahlungsunfähigkeit erfolgen soll, deren Beurteilungszeitraum durch das SanInsFoG in § 18 Abs. 2 Satz 2 InsO auf "in aller Regel" 24 Monate festgelegt wurde. Diese Verkürzung wird unter Gläubigerschutzgesichtspunkten in der Lit. teilweise kritisch gesehen.[101] So dürfe die Regelung nicht dazu führen, dass die Schuldnergesellschaft ein Jahr lang Liquiditätsgewinnung aus der Substanz zu Lasten der Gläubigerschaft betreibt.

Nach § 4 COVInsAG war für die Zeit vom 1.1. bis 31.12.2021 und durch das SanInsKG[102] erneut für die Zeit vom 9.11.2022 bis 31.12.2023 der Prognosezeitraum für die positiven Fortführungsprognose jeweils auf vier Monate verkürzt worden. Die bereits zur Verkürzung auf zwölf Monate geäußerte Kritik gilt selbstverständlich umso mehr für diese Verkürzungen. Zusätzlich warfen die erheblichen Verkürzungen und ihre zeitlichen Geltungsbefristungen zahlreiche weitere Zweifelsfragen auf, so dass in der Lit. die Auffassung vorherrschte, dass die Regelungen die Haftungsrisiken für alle Beteiligten eher noch erhöht haben.[103]

Für alle gesetzlichen Prognosezeiträume dürfte gelten, dass im Einzelfall auch spätere Fälligkeiten bereits bestehender Verbindlichkeiten zu berücksichtigen sind, wenn bereits absehbar ist, dass sie im Fälligkeitszeitpunkt nach Ablauf des Prognosezeitraums nicht bedient werden können, sondern wegen dieser Verbindlichkeit alsbald Insolvenzantrag zu stellen sein wird. Als Beispiel mag ein endfälliges Darlehen dienen, welches bei Fälligkeit nicht zurückzuzahlen sein wird und dessen Gläubiger bereits signalisiert hat, eine Stundung nicht zu vereinbaren. In einem solchen Fall wäre es nicht richtig, allein für den gesetzlichen begrenzten Prognosezeitraum "vorübergehend" eine positive Prognose zu erteilen.

[97] BGH, ZIP 2017, 427.
[98] Bork, ZIP 2000, 1709 ff.; Luttermann/Vahlenkamp, ZIP 2003, 1629 ff.; Hölzle, ZIP 2008, 2003, 2005; Hirte u.a., ZInsO 2008, 1217, 1223; K. Schmidt, ZIP 2013, 485 ff.
[99] OLG München, ZIP 2014, 69.
[100] V. 22.12.2020, BGBl I 2020, S. 3256 ff.
[101] Gehrlein, GmbHR 2021, 183,187; Bitter, ZIP 2021, 321, 324.
[102] BGBl I 2022, S. 1968 ff.
[103] Hölzle, ZIP 2022, 1945 ff.; Bieg/Hölzle, ZIP 2022, 2419 ff.; Gutmann/Michels, NZI 2023, 7 ff.

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