Rz. 820
Streitig und, soweit ersichtlich, höchstrichterlich noch nicht entschieden ist, ob die seit langem anerkannten gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten auch im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft weiter Geltung beanspruchen können etwa mit der Folge, dass ein Mehrheitsgesellschafter in der Abstimmung über einen Insolvenzplan aus der Treuepflicht gehindert sein könnte, für den Plan zu stimmen, der Mitgliedschaftsrechte des Minderheitsgesellschafters beschneidet. In der Lit. werden beide gegensätzlichen Auffassungen vertreten. Im "Suhrkamp"-Verfahren sind hierzu Entscheidungen ergangen. Das LG Frankfurt am Main hat den Mehrheitsgesellschafter durch einstweilige Verfügung verpflichtet, gegen den von ihm selbst vorgelegten Insolvenzplan zu stimmen, da die Zustimmung zum Insolvenzplan der gesellschafterlichen Treuepflicht widerspreche und im Hinblick auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG strenge Anforderungen an die weitreichenden Eingriffe in die Anteilseignerrechte zu stellen seien. Das OLG Frankfurt am Main hat die vorgenannte Entscheidung des LG Frankfurt am Main korrigiert und die Vollstreckung der einstweiligen Verfügung auf Untersagung der Zustimmung zu dem Insolvenzplan eingestellt. Zur Begründung hat das OLG Frankfurt am Main ausgeführt, dass die gesellschafterlichen Treuepflichten nicht über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinaus wirkten, denn mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei der Zweck der Gesellschaft, nämlich der Erhalt der Existenz und der Funktionsfähigkeit, entfallen. Von diesem Moment an entscheide nur noch das Insolvenzgericht über die Rechte und Pflichten der Gesellschafter; die Zivilgerichte verlören ihre Zuständigkeit für Gesellschafterstreitigkeiten. Die schutzwürdigen Positionen der Gesellschafter beschränkten sich auf den Wert, der ihrer Beteiligung im Insolvenzverfahren verbleibt. Insolvenzbedingte Wertverluste könnten nur außerhalb des Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden.
Auch das BVerfG hat im Fall Suhrkamp eine einstweilige Anordnung der Aufhebung des Abstimmungstermins über den Insolvenzplan abgelehnt mit der Begründung, Betroffene könnten die nach der InsO gegebenen Rechtsmittel gegen die notwendige gerichtliche Bestätigung des Insolvenzplans einlegen und so ihre rechtlichen Einwände geltend machen.
Rz. 821
Im Insolvenzverfahren ist m.E. für die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten kein Raum. Der BGH hat entschieden, dass die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten weder dem Schutz der Insolvenzgläubiger noch dem Schutz der Masse dienen. Das Insolvenzverfahren wird aber gerade für die bestmögliche Befriedigung der Insolvenzgläubiger durchgeführt. Da wäre es geradezu widersinnig, nicht ihren Schutz, sondern den Schutz der Gesellschafter bezweckende Treuepflichten durchschlagen zu lassen und so evtl. die bestmögliche Befriedigung der Insolvenzgläubiger zu verhindern.
Die schwache Rechtsstellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren hat ihren Grund in seiner Abhängigkeit vom Bestand der werbenden Gesellschaft. Nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH können die Gesellschafter die Fortsetzung der Gesellschaft nur in den Fällen des § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG beschließen, also wenn das Verfahren auf Antrag des Schuldners eingestellt wird oder das Insolvenzverfahren nach Bestätigung eines die Fortsetzung vorsehenden Insolvenzplans aufgehoben wird. Insbesondere nach der Schlussverteilung im Regelinsolvenzverfahren kann die Fortsetzung der GmbH nicht wirksam beschlossen werden, auch wenn sie im Handelsregister noch nicht gelöscht ist. Die Fortsetzungsmöglichkeit nach Planbestätigung (§ 254 Abs. 1 InsO) und Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 258 Abs. 1 InsO) spricht nicht dagegen, dass das Gesellschaftsrecht durch das Insolvenzverfahren eben bis zu diesen gerichtlichen Entscheidungen, also während des Insolvenzplanverfahrens verdrängt ist.
Rz. 822
Während Gegenstand und teilweise Akteurin im Insolvenzverfahren die Gesellschaft (als Schuldnerin) ist, sind die Rechte des am Verfahren teilnehmenden Gesellschafters in seiner Funktion bzw. Stellung als Gesellschafter in §§ 222 Abs. 1 Nr. 4, 225a, 226, 238a InsO geregelt. Diese Verfahrensvorschriften können m.E. nicht durch gesellschaftsrechtliche Treuepflichten ausgehebelt werden. Dem Gesellschaftsrecht unterliegt allenfalls, wie die Schuldnergesellschaft als solche ihre Verfahrensbefugnisse innerhalb des Insolvenzverfahrens wahrnimmt. Insbesondere gelten im Insolvenzplanverfahren nach § 138 Abs. 1 Satz 2 InsO keinerlei Stimmrechtsbeschränkungen, als welche die Treuepflichten insoweit aufgefasst werden können.
Rz. 823
Im Insolvenzverfahren ist der Gesellschafter der Schuldnergesellschaft nur in Bezug auf den Wert seiner Beteiligung geschützt, s.a. § 199 Satz 2 InsO. Er erhält eine Abfindung regelmäßig nur nach dem Liquidationswert (s.u.); nur dieser ist der Maßstab bei der Beurteilung des Obstruktionsverbots nach § 245 ...