Rz. 49
Zahlungsunfähigkeit ist als allgemeiner Eröffnungsgrund der weitere Grund für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Gesellschaft und, anders als Überschuldung, auch ein Grund für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen jedes insolvenzfähigen (§ 11 InsO) Schuldners, etwa natürlicher Personen, einzelkaufmännischer Unternehmen oder Personengesellschaften mit natürlicher Person als Vollhafter.
1. Definition
Rz. 50
In § 17 Abs. 2 InsO ist Zahlungsunfähigkeit gesetzlich definiert:
Zitat
Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist i.d.R. anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.
Die Prüfung der Zahlungsunfähigkeit erfordert also eine Gegenüberstellung der liquiden Zahlungsmittel und der fälligen Verbindlichkeiten.
a) Liquide Mittel
Rz. 51
Dies sind zunächst nur Bar- und Buchgeld. Die Berücksichtigung kurzfristig, d.h. innerhalb von 21 Tagen zu beschaffender liquider Mittel (sog. Aktiva II), erfordert zunächst die grds. Bereitschaft des Schuldners, sich diese Liquidität auch zu beschaffen. Diese vorausgesetzt sind offene Kreditmittel eines Kreditinstituts (z.B. offener Kontokorrentkredit) nach ständiger Rspr. des BGH ungeachtet des Zeitpunkts der tatsächlichen Auszahlung grds. als Zahlungsmittel anzusehen.
Zahlungszusagen Dritter (= Nicht-Kreditinstitute), etwa Gesellschafter oder Patron sind als vorhandene Zahlungsmittel nur anzusehen, wenn der Schuldner ähnlich wie bei einer offenen Kontokorrentkreditlinie unmittelbaren Zugriff auf die Zahlungsmittel hat und davor nicht noch eine Auszahlungsentscheidung des Dritten erforderlich ist. Ferner ist erforderlich, dass sich der Schuldner diese Mittel auch tatsächlich beschafft; die Zahlungszusage also auch tatsächlich vollzogen wird.
Dasselbe gilt für den Cash-Pool: der Anspruch der angeschlossenen Gesellschaft gegen den Cash-Pool-Führer ist als Zahlungsmittel nur anzusehen, wenn taggleicher Zufluss sichergestellt ist.
b) Fällige Geldschulden
Rz. 52
Die Fälligkeit einer Geldschuld bestimmt sich nach dem für sie geltenden Recht, etwa § 271 Abs. 1 BGB. Die laufenden kurzfristigen Verbindlichkeiten sind nach den üblichen Zahlungszielen als fällig zu beurteilen. Bei Ratenzahlungsvereinbarungen sind die jeweils fälligen Raten mit ihren Fälligkeitszeitpunkten zu berücksichtigen, wenn die Ratenabrede in Kenntnis des Unvermögens getroffen wurde, die ganze Verbindlichkeit bei sofortiger Fälligkeit zu begleichen.
Rz. 53
Problem: Sind einwendungs- oder einredebehaftete Forderungen fällig i.S.d. § 17 InsO und/oder kann Zahlungsunfähigkeit aufgrund lediglich vorläufig vollstreckbarer Zahlungstitel (etwa bei streitiger Verbindlichkeit oder bei streitigen Steuerfestsetzungen, etc.) eintreten?
Rz. 54
Abschließende Rspr. zur InsO liegt hierzu, so weit ersichtlich, noch nicht vor. Zur KO hatte der BGH entschieden, dass ein vorläufig vollstreckbarer Titel aufgrund eines erstinstanzlichen, nicht rechtskräftigen Urteils nicht zur Zahlungsunfähigkeit führt, wenn diese allein von der titulierten Forderung abhängt. Dem hat sich für die Rechtslage nach der InsO das AG Frankfurt/O. angeschlossen: eine ernsthaft bestrittene Forderung, die insolvenzbegründend bestehen soll, ist in aller Regel erst nach rechtskräftiger oder sonstiger die Parteien bindender Klärung bei der Zahlungsunfähigkeitsprüfung zu berücksichtigen. Zum Gläubiger-Insolvenzantrag hat der BGH entschieden, dass der Gläubiger auf den ordentlichen Rechtsweg zu verweisen ist, wenn seine Forderung nicht frei von Einreden oder Einwendungen ist.
Rz. 55
Die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheides, an dessen Rechtmäßigkeit Zweifel bestehen, führt dazu, dass die Verbindlichkeit bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht zu berücksichtigen ist Eine zunächst verweigerte, später bewilligte Stundung der Steuerforderung führt aber nicht rückwirkend zur Zahlungsfähigkeit des Schuldners.
Rz. 56
In der Lit. werden unterschiedliche Auffassungen vertreten, und zwar:
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Für die Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 InsO kommt es nicht auf die "formelle" Zahlungspflicht bzw. "formelle" Fälligkeit an, sondern auf den materiellen Bestand der Verbindlichkeit. Wenn der Geschäftsführer mit guten, objektiven Gründen aus der ex ante-Betrachtung annehmen darf, dass die Verbindlichkeit nicht besteht, ein evtl. anhängiger Prozess also gewonnen wird, darf die vom Gläubiger erhobene Forderung (aus der Sicht des Schuldners die evtl. Verbin... |