Rz. 85
Nach diesem durch die InsO eingeführten Insolvenzantragsgrund hat der Schuldner das Recht, bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen zu stellen. Eine Verpflichtung des Schuldners zur Insolvenzantragstellung bei drohender Zahlungsunfähigkeit besteht jedoch nicht. Auch kann aus diesem Insolvenzantragsgrund nur der Schuldner selbst, nicht jedoch auch ein Gläubiger den Insolvenzantrag stellen.
Die drohende Zahlungsunfähigkeit ist außerdem der Eingriffszeitpunkt für die (freiwillige) Inanspruchnahme der gerichtlichen Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens, (§ 29 Abs. 1 StaRUG).
1. Begriff der drohenden Zahlungsunfähigkeit
Rz. 86
Nach der Legaldefinition in § 18 Abs. 2 InsO droht der Schuldner zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu erfüllen. Bei dieser Beurteilung ist "in aller Regel" ein Prognosezeitraum von 24 Monaten zugrunde zu legen.
Die Beurteilung erfolgt anhand eines Finanzplans. In diesen sind die bestehenden und die künftigen Verbindlichkeiten, mit deren Entstehen absehbar zu rechnen ist, einzubeziehen, und zwar mit den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten. Dabei sind auch die Zahlungspflichten einzubeziehen, deren Fälligkeit im Prognosezeitraum nicht sicher, aber überwiegend wahrscheinlich ist. Dies gilt für Haftungsverbindlichkeiten auch dann, wenn der Gläubiger sie zwar noch nicht gegenüber dem Haftungsschuldner geltend gemacht hat, die Erhebung der Forderung gegenüber dem eigentlichen Schuldner aber bereits zu dessen Insolvenz geführt hat. Ebenso können gestundete oder zzt. nicht ernsthaft eingeforderte Verbindlichkeiten zu berücksichtigen sein. Zahlungsunfähigkeit kann trotz gewährter Prolongation eines Darlehens drohen, wenn die in dieser Zeit geführten Umschuldungsverhandlungen keine sichere Erfolgsaussicht bieten. Gegenüber zu stellen sind die dann vorhandenen liquiden Mittel. Ergibt sich für einen künftigen Zeitpunkt eine Liquiditätsunterdeckung von mehr als 10 %, die länger als 3 Wochen dauern wird, ist von drohender Zahlungsunfähigkeit auszugehen.
2. Prognosezeitraum
Rz. 87
Zum Prognosezeitraum dieses Finanzplans bestanden unterschiedliche Auffassungen. Der maximale Planungszeitraum des Finanzplans orientierte sich grds. an der spätesten Fälligkeit einer im Prognosezeitpunkt bereits entstandenen Verbindlichkeit. Aus Gründen der Praktikabilität und wegen der Prognoseunsicherheiten war der Planungszeitraum i.d.R. jedoch auf das laufende und das folgende Geschäftsjahr beschränkt. im Einzelfall konnten ggf. auch spätere Fälligkeiten zu berücksichtigen sein, z.B. ein endfälliges Darlehen, welches mit großer Wahrscheinlichkeit dann nicht zurückzuzahlen sein wird.
Durch das SanInsFoG wurde der Beurteilungszeitraum in § 18 Abs. 2 Satz 2 InsO gesetzlich auf "in aller Regel" 24 Monate festgelegt, wodurch eine Abgrenzung zum Prognosezeitraum der Fortführungsprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung erfolgen soll, der durch das SanInsFoG in § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO auf zwölf Monate festgelegt wurde.
3. Diskussion der Prognosezeiträume
Rz. 88
Die Tatbestände der Überschuldung nach § 19 InsO und der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO enthalten beide eine Zahlungs(un)fähigkeitsprognose. Nach der Rspr. des BGH schließt drohende Zahlungsunfähigkeit die Annahme einer positiven Fortführungsprognose i.S.d. Überschuldungstatbestands aus mit der Folge, dass für haftungsbeschränkte Gesellschaften bei Vermögensunzulänglichkeit die freiwilligen Sanierungsverfahren nach StaRUG oder InsO entgegen den gesetzlichen Intentionen und Regelungen nicht zur Verfügung stünden. Indessen dürfte dieses Dilemma wie folgt aufzulösen sein: bei der Prognose im Rahmen der Überschulungsprüfung dürfen die Sanierungsmaßnahmen (etwa nach StaRUG) eingeplant werden, bei der Prognose für drohende ZU bleiben sie hingegen unberücksichtigt, da sich sonst ein Zirkelschluss ergäbe.
4. Praktische Bedeutung
Rz. 89
Durch diesen Insolvenzantragsgrund soll dem redlichen Schuldner frühzeitig die Möglichkeit eröffnet werden, freiwillig unter die vor Einzelvollstreckung schützende "Käseglocke" des Insolvenzverfahrens zu schlüpfen und so das Unternehmen, etwa auch mithilfe eines sog. "prepackaged" Insolvenzplanes, zu sanieren. Insbesondere das sog. "Schutzschirmverfahren" nach § 270d Ins...