1. Insolvenzplan und Einbezug der Anteilsinhaber, Distressed M&A
Rz. 810
Für die Sanierungs- und Transaktionspraxis von besonderer Bedeutung dürften die Regelungen über die Einbeziehung der Anteilsinhaber in das Insolvenzplanverfahren über das Vermögen der Gesellschaft im Wege gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen, etwa Zwangsabtretungen, Kapitalveränderungen (z.B. Kapitalschnitt, Debt-Equity-Swap), oder sonstige gesellschaftsrechtlich zulässige Maßnahmen nach §§ 217 S atz 2, 225a InsO sein. Die Einführung dieser Regelungen durch das ESUG war auch die Reaktion des Gesetzgebers auf das Nichtfunktionieren des bedingten Insolvenzplans nach § 249 InsO in der Praxis. Durch sie wird erstmals das Blockadepotential der Anteilseigner, welches sie hatten, obwohl ihre Gesellschaftsanteile im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft i.d.R. wertlos geworden waren, dadurch durchbrochen, dass gesellschaftsrechtliche Veränderungen und die notwendigen Gesellschafterbeschlüsse in den Insolvenzplan integriert bzw. durch den Plan feststellenden Gerichtsbeschluss ersetzt werden.
Rz. 811
In Einzelfällen können diese Regelungen einen günstigen Erwerb eines Unternehmens aus der Insolvenz, evtl. auch nach vorherigem Erwerb der gegen das Unternehmen gerichteten (Insolvenz-)Forderungen mit anschließendem Debt-Equity-Swap ermöglichen. Wirtschaftlich betrachtet handelt es sich dann um die Pfändung des Unternehmens durch einen Großgläubiger. Ein angemessener Ausgleich der widerstreitenden Interessen beim sog. Distressed Debt Investing (Sanierung des Unternehmens, Interesse der Altgesellschafter, Interesse der Kapitalmärkte etc.) wird durch Rspr. und Lit. herauszuarbeiten sein. Auch Insolvenzgläubiger, die den – unbestrittenen – Anspruch gegen den Schuldner aus gewerblichem Interesse erworben haben, haben das Recht auf Einsicht in die Insolvenzakte; es kann nicht mit der Begründung verweigert werden, der Gläubiger wolle die durch Akteneinsicht erworbenen Kenntnisse dazu nutzen, den anderen Gläubigern Kaufangebote zu unterbreiten.
Hinweis
Die wirtschaftliche Entscheidung der Gläubiger zum "swap" bzw. eines Investors oder Erwerbsinteressenten wird zu treffen sein anhand eines Vergleichs des Liquidations-/Insolvenzerlöses (der Quote) bzw. der Kaufpreise für die Forderungen oder der Gesellschaftsanteile zuzüglich evtl. sonstiger Sanierungsaufwendungen mit dem Anteilswert des nach Planfeststellung aus der Insolvenz entlassenen Unternehmens (Unternehmensbewertung), der etwa durch spätere Veräußerung der Anteile realisiert werden könnte (Sanierungsmehrwert).
Rz. 812
Die insoweit maßgeblichen Regelungen der InsO sind
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§ 217 Satz 2 InsO (Einbezug der Mitgliedschaftsrechte an der Schuldnergesellschaft in den Insolvenzplan), |
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§ 225a InsO (zulässige Eingriffe in die Rechte der Anteilsinhaber), |
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§ 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4, Abs. 3 InsO (am Schuldner beteiligte Personen als eigene Beteiligtengruppe), |
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§ 235 Abs. 3 Satz 3 InsO (Ladung der einbezogenen Anteilseigner zum Erörterungs- und Abstimmungstermin), |
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§§ 238a, 244 Abs. 3 InsO (Stimmrecht der Anteilsinhaber nach Höhe der Beteiligung an der Schuldnergesellschaft), |
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§ 245 Abs. 3 InsO (Obstruktionsverbot für die Gruppe der Anteilsinhaber), |
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§ 246a InsO (Zustimmungsfiktion der Anteilsinhaber), |
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§ 254 Abs. 4 InsO (Ausschluss der Differenzhaftung nach Debt-Equity-Swap), |
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§ 254a Abs. 2 InsO (Fiktion gesellschaftsrechtlicher Form- und Beschlusserfordernisse, Anmeldebefugnis des Insolvenzverwalters zum Handelsregister) |
2. Gesellschaftsrechtliche Zweifelsfragen bei Eingriffen in die Gesellschafterrechte – Insolvenzrecht versus Gesellschaftsrecht
Rz. 813
Durch die Regelungen in §§ 217 Satz 2, 225a, 222 Abs. 1 Nr. 4, 238a, 254 Abs. 4, 254a Abs. 2 InsO wurde ein tiefgreifender Wandel im systematischen Verhältnis zwischen Gesellschafts- und Insolvenzrecht vollzogen, der erhebliche Zweifelsfragen aufwirft. Die Rspr. wird nun eine Harmonisierung von Gesellschafts- und Insolvenzrecht für den Fall herauszubilden haben, dass die Anteilsinhaber der Gesellschaft in das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft durch den Insolvenzplan dadurch einbezogen werden, dass in ihre Anteilsrechte eingegriffen wird. Dabei wird darauf zu achten sein, dass nicht durch zu starke Betonung des Gesellschaftsrechts die die gesetzgeberseitigen Intentionen zur Verbesserung der Sanierungsaussichten des Unternehmens im Insolvenz(plan)verfahren unterlaufen werden. U.a. werden zahlreiche Problemfelder eine Rolle spielen, von denen mir die folgenden drei eine besondere Bedeutung zu haben scheinen:
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Welche Maßnahmen sind "gesellschaftsrechtlich zulässig" i.S.d. § 225a Abs. 3 InsO? |
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Wie ist der Wert der Unternehmensbeteiligung/des Geschäftsanteils der Gesellschafter der insolventen Gesellschaft zu berechnen und ggf. abzufinden? |
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Welche Rechtsmittel haben (Mind... |