Rz. 313
Der Wunsch der Gläubiger, den Gesellschafter der GmbH für Verbindlichkeiten der Gesellschaft persönlich in Anspruch zu nehmen, ist so alt wie die Rechtsform selbst. Als Haftungstatbestände werden diskutiert: Unterkapitalisierung, Durchgriffshaftung, sittenwidrige vorsätzliche Gläubigerschädigung und Existenzvernichtung.
1. Unterkapitalisierung
Rz. 314
Materielle Unterkapitalisierung liegt vor, wenn das Eigenkapital der Gesellschaft für den Kapitalbedarf (nach Abzug der Kredite Dritter) nach der Art und des Umfanges des Geschäftsbetriebes nicht ausreicht. Es besteht jedoch kein generelles Unterkapitalisierungsverbot. Folglich gibt es keine allgemeine Durchgriffshaftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft allein wegen Unterkapitalisierung. Daran änderte auch die – insoweit vom BGH aufgehobene – Entscheidung des OLG Düsseldorf zum existenzvernichtenden Eingriff bei sog. "Aschenputtel-Gesellschaft" (es handelte sich um eine von vornherein zu gering ausgestattete Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft) nichts. Für die Statuierung einer allgemeinen verschuldensabhängigen oder gar verschuldensunabhängigen Haftung des Gesellschafters wegen materieller Unterkapitalisierung besteht mangels Lücke im Haftungssystem des GmbHG kein Raum. Bloßes Unterlassen einer ausreichenden Kapitalisierung ist kein kompensationsloser Eingriff in das im Interesse der Gläubiger gebundene Vermögen der Gesellschaft.
Rz. 315
Haftungen kommen also nur in Betracht, wenn die Tatbestände der Durchgriffshaftung oder des § 826 BGB erfüllt sind.
2. Durchgriffshaftung
Rz. 316
Die Durchgriffshaftung kann auch den faktischen Alleingesellschafter treffen, der sich eines Strohmanns als formellem Gesellschafter bedient.
a) Missbrauch der Rechtsform
Rz. 317
Das Rechtsinstitut der Durchgriffshaftung des Gesellschafters für Verbindlichkeiten der GmbH, etwa eine Kaufpreisschuld nach § 433 Abs. 2 BGB, greift ein, wenn sich das Berufen auf das Trennungsprinzip des § 13 Abs. 2 GmbHG als unzulässige Rechtsausübung darstellt, die juristische Person offenkundig nur dazu benutzt wurde, ein von der Rechtsordnung nicht mehr gebilligtes Ergebnis herbeizuführen. Dabei leitet sich die Durchgriffshaftung bereits aus der objektiv zweckwidrigen Verwendung der juristischen Person her; subjektive Elemente wie Vorsatz oder Verschulden sind nicht erforderlich. Ein Missbrauch der haftungsbeschränkten Rechtsform kann etwa vorliegen, wenn ein Konzern für ein bestimmtes, riskantes und kapitalintensives Projekt eine mit nur geringem Kapital ausgestattete GmbH verwendet, sodass sich die Durchführung von vornherein und bereits nach dem Businessplan des Unternehmers als "Spekulation auf Kosten der Gläubiger" darstellt. Immer ist der gesamte konkrete Sachverhalt nach § 242 BGB zu würdigen; von dem Rechtsinstitut ist nur sehr eingeschränkt Gebrauch zu machen, damit die Regel des § 13 Abs. 2 GmbHG nicht aufgehoben und über die juristische Person nicht leichtfertig hinweggegangen wird.
Rz. 318
Diese Fallgruppe ist abzugrenzen von der keine Haftung begründenden bloßen Unterkapitalisierung.
b) Vermögensvermischung
Rz. 319
Eine Durchgriffshaftung des Gesellschafters wegen Vermögensvermischung war bejaht worden, wenn durch diese die Beachtung der Kapitalerhaltungsvorschriften des GmbH-Gesetzes unkontrollierbar wurde. Zwar lässt sich die Durchgriffshaftung des Gesellschafters in den Vermögensvermischungsfällen seit der Änderung der Rspr. des BGH zur Rechtsfolge des existenzvernichtenden Eingriffs nicht mehr aus ihrer Einordnung als Existenzvernichtung herleiten. Die Durchgriffshaftung wegen unkontrollierbarer Vermögensvermischung greift aber in Analogie zu § 128 HGB als Verhaltenshaftung für den Gesellschafter ein, der wegen seines wahrgenommenen Einflusses als Allein- oder Mehrheitsgesellschafter auf die GmbH für die Vermögensvermischung verantwortlich ist.