Rz. 649
Durch Art 5 SanInsFoG wurden die bisher in den einzelnen Gesellschaftsgesetzen (§ 64 GmbHG, § 92 Abs. 2 i.V.m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG, § 130a Abs. 1, 2 und § 177a HGB, § 99 GenG jeweils a.F.) geregelten sog. Zahlungsverbote und die Anordnung der entsprechenden Ersatzpflicht mit Wirkung ab 1.1.2021 in dem neuen § 15b InsO zusammengefasst; die vorgenannten Regelungen in den Gesellschaftsgesetzen wurden durch Art. 14–17 SanInsFoG aufgehoben. Hierdurch wurden die inhaltlich zusammengehörenden, durch das MoMiG getrennten Regelungen zur Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) und der Ersatzpflicht der sog. verbotenen Zahlungen wieder zusammengeführt, und zwar nunmehr in der InsO.
§ 15b Abs. 1 InsO regelt die Zahlungsverbote und die Ausnahme hiervon, sofern die Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind, und entspricht damit im Wesentlichen den bisherigen Regelungen einschließlich des Regel-/Ausnahmeverhältnisses, so dass insoweit die zu den Vorgängerregelungen ergangene Rspr. anwendbar bleiben dürfte.
Rz. 650
Konkretisierungen des Sorgfaltsmaßstabs und damit einhergehende gewisse Haftungserleichterungen sind in den Neuregelungen in § 15b Abs. 2 u. 3 InsO enthalten, die stets zusammen zu betrachten sind. Danach sind drei Phasen zu unterscheiden:
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Phase 1 – die Karenzzeit für die Insolvenzantragstellung: Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen, insbesondere Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen, sind als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar anzusehen, solange die Geschäftsleitungen Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung des Insolvenzantrags ebenfalls mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreiben; |
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Phase 2 – zwischen (rechtzeitig gestelltem) Insolvenzantrag und Verfahrenseröffnung: Zahlungen, die im Zeitraum zwischen der Insolvenzantragstellung und der Eröffnung des Verfahrens geleistet werden, sind mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar, wenn diese Zahlungen mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters vorgenommen wurden; |
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Phase 3 – Karenzzeit für den Insolvenzantrag abgelaufen und Antrag vom Schuldner nicht gestellt: Nach 15b Abs. 3 InsO gelten die Privilegierungen des Absatzes 2 rückwirkend nicht mehr, wenn die Frist für die Insolvenzantragstellung verstrichen ist und der Geschäftsleiter keinen Insolvenzantrag gestellt hat. Dann sind die Zahlungen "i.d.R." nicht mehr mit der Sorgfalt vereinbar. Ob die sog. Notgeschäftsführung gem. der bisherigen Rspr. zulässig bleibt, ist streitig. |
Rz. 651
Eine wesentliche Neuerung findet sich in § 15b Abs. 4 InsO. In Satz 1 ist geregelt, dass zwar sämtliche entgegen dem Verbot in Abs. 1 geleisteten Zahlungen einzeln zu ersetzen sind. In Satz 2 ist jedoch geregelt, dass dann, wenn der Gläubigerschaft der Gesellschaft ein geringerer Schaden entstanden ist, sich die Ersatzpflicht des Geschäftsführers auf den Ausgleich dieses Schadens beschränkt. Inwieweit der Gesetzgeber der in der Lit. wiederholt geäußerten Kritik an der Rspr. des BGH zur alten Rechtslage gefolgt ist und der Ersatzpflicht des Geschäftsführers ihre bisherige überschießende Schärfe genommen hat, ist ebenso streitig wie die Frage, wie der geringere Schaden der Gläubigerschaft zu berechnen ist. Klar scheint wegen des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen Sätzen 1 und 2 zu sein, dass der Geschäftsführer die Darlegungs- und Beweislast für den geringeren Gläubigerschaden trägt. Entscheidend wird hier sein, welche Anforderungen die Rspr. an diese Darlegungs- und Beweislast und damit an die Berechnung des geringeren Gesamtschadens stellen wird.
Rz. 652
In § 15b Abs. 5 InsO werden die bisher in den Gesellschaftsgesetzen geregelten (etwa § 64 Satz 3 GmbHG a.F.) Ersatzpflichten für verbotene Zahlungen an Gesellschafter geregelt.
§ 15b Abs. 6 InsO erstreckt die Ersatzpflichten auch auf die anderen zum Insolvenzantrag verpflichteten Gesellschaftsorgane, etwa die Gesellschafter der GmbH bei Führungslosigkeit.
In § 15b Abs. 7 InsO ist nunmehr die Verjährung der Ersatzansprüche geregelt.
Rz. 653
§ 15b Ab. 8 InsO löst die Pflichtenkollision mit der Steuerhaftung entgegengesetzt der bisherigen Rspr. des BGH und des BFH auf (s.u. Rdn 722). Ob dies auch für das vergleichbare Haftungsdilemma betreffend die (Nicht-)abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung gilt, ist in der Lit. streitig (s.u. Rdn 743 ff.). Zu beidem sei auf die Ausführungen zur Steuerhaftung (Rdn 706 ff.) bzw. zur Haftung wegen nicht abgeführter Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung (Rdn 730 ff.) verwiesen.
Rz. 654
Nach der Übergangsreglung zur Anwendung des § 15b InsO in Art. 103m Satz 2 u. 3 EGInsO gelten die Neuregelungen für den Tatbestand erfüllende Zahlungen ab dem 1.1.2021, und zwar unabhängig vom Zeitpunkt des Insolvenzantrags oder der Eröffnung des Verf...