1. Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag in Krise und Insolvenz
a) Beendigung vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens
Rz. 444
Gerät eine aus einem Beherrschungs- oder Ergebnisabführungsvertrag (EAV) i.S.d. § 291 AktG abhängige Gesellschaft in die Krise, wird aus Sicht der herrschenden Gesellschaft die Beendigung des Vertrages zu erwägen, ggf. sogar geboten sein, damit ein solcher Unternehmensvertrag keinesfalls bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens noch besteht, denn die herrschende Gesellschaft liefe Gefahr, die Insolvenz nach § 302 AktG vollständig alimentieren zu müssen. Für die Beendigungsmöglichkeiten sei auf die Ausführungen dieses Werks zum Konzernrecht (§ 13) verwiesen. Hier ist zusätzlich zu beachten, dass Beendigungen, an der die später insolvente Gesellschaft mitgewirkt hat (etwa Aufhebungsvereinbarungen), nach §§ 129 ff. InsO anfechtbar sein können.
b) Berücksichtigung im Rahmen der Prüfung der Insolvenzeröffnungsgründe
Rz. 445
Auch eine abhängige Gesellschaft kann insolvent werden, etwa wenn die herrschende Gesellschaft ihren Verpflichtungen nicht nachkommt. Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge (Unternehmensverträge nach § 291 AktG) verpflichten die herrschende Gesellschaft nach § 302 AktG, die Verluste der abhängigen Gesellschaft auszugleichen. Der Verlustausgleichsanspruch der abhängigen Gesellschaft nach § 302 AktG entsteht (erst) am Bilanzstichtag und wird auch erst zu dieser Zeit fällig. Die Höhe des Verlustausgleichs wird durch den nach ordnungsgemäßer Bilanzierung am Bilanzstichtag ausgewiesenen Jahresfehlbetrag bestimmt, auch wenn die Bilanz (der Tochtergesellschaft) nicht wirksam festgestellt sein sollte.
aa) Überschuldungsprüfung
Rz. 446
Der Verlustausgleichsanspruch der abhängigen Gesellschaft kann im Überschuldungsstatus aktiviert werden, wenn und soweit er werthaltig ist. Auch vor Ablauf des regulären Geschäftsjahres kann der Verlustausgleichsanspruch im Rahmen der Überschuldungsprüfung auf der Aktivseite berücksichtigt werden, wenn seine Entstehung sicher ist und er der abhängigen Gesellschaft damit unentziehbar zusteht.
Rz. 447
Die Verlustausgleichsverpflichtung der herrschenden Gesellschaft ist bei ihr im Überschuldungsstatus zu passivieren. Die Erfüllung dieses Anspruchs ist auch möglich durch Leistung an Erfüllungs statt nach § 364 BGB, z.B. durch Befreiung der abhängigen Gesellschaft von einer Verbindlichkeit gegenüber einem Dritten. Auch kann die herrschende Gesellschaft mit einer werthaltigen Gegenforderung gegen die beherrschte Gesellschaft aufrechnen. Hier ist streitig, ob in die Werthaltigkeitsberechnung der Verlustausgleichsanspruch der beherrschten Gesellschaft einzubeziehen ist. Schließlich ist grds. auch eine Einigung über den Verlustausgleichsanspruch möglich. Jüngst hat das OLG München dazu jedoch entschieden, dass dies nur unter der Voraussetzung des § 302 Abs. 3 Satz 2 AktG – zur Abwendung eines Insolvenzverfahrens bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit durch Vergleich mit den Gläubigern – möglich sei; ansonsten sei die Vereinbarung nichtig. In der Lit. wird teilweise ein Weisungsrecht der herrschenden Gesellschaft zur Zustimmung zu einem reduzierten Verlustausgleich im Rahmen eines Restrukturierungsvorhabens (bei drohender Zahlungsunfähigkeit der herrschenden Gesellschaft bejaht.
Rz. 448
Für Cash Pool-Konstellationen, in der die herrschende Gesellschaft zugleich die Cash Poolführerin ist, ist zusätzlich zu beachten: grds. ist die Abwicklung des Verlustausgleichs über Cash-Pool-Verrechnungskonten möglich. Die Rückzahlung des geleisteten Verlustausgleichs sogleich in den Cash Pool entspricht einer Darlehensgewährung durch die abhängige Gesellschaft. Hier ist streitig, ob dies als Umgehung des § 302 AktG ausgeschlossen ist, wenn die Rückzahlung des erhaltenen Verlustausgleichs zur Verhinderung einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der herrschenden Gesellschaft erforderlich ist, also der Verlustausgleichsanspruch nicht mehr (voll) werthaltig war. Es geht also um die Frage, ob die Umwandlung des Verlustausgleichsanspruchs in ein Darlehen oder die Stundung des Verlustausgleichsanspruchs möglich ist. Die herrschende Meinung verneint dies. Eine andere Auffassung bejaht dies. In diesem Zusammenhang ist jedoch ebenfalls die bereits genannte Entscheidung des OLG München zu beachten, nach welcher eine Einigung über den Verlustausgleichsanspruch nur unter der Voraussetzung des § 302 Abs. 3 Satz 2 AktG möglich und ansonsten nichtig sei.
bb) Zahlungsunfähigkeit
Rz. 449
Bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit der abhängigen Gesellschaft ist der entstandene Verlustausgleichsanspruch in der Liquiditätsbilanz nur zu berücksichtigen, wenn der Zufluss innerhalb von max. drei Wochen überwiegend wahrscheinlich ist.
Streitig ist, ob die abhängige Gesellschaft bei erwartbarem Verlust und aktuellem L...