Rz. 16
In der Betriebswirtschaftslehre werden neben den am Ertragswert orientierten Bewertungsmethoden (Ertragswertverfahren, DCF-Methode) auch andere, vereinfachende Verfahren zur Bestimmung von Unternehmenswerten diskutiert. Insoweit geht es insbesondere um sog. Multiplikatormethoden.
Rz. 17
Innerhalb dieser Ansätze sind zwei unterschiedliche Strömungen grundsätzlich voneinander zu unterscheiden, und zwar im Hinblick auf die Auswahl der Bezugsgrößen für die Multiplikatoren (sog. Market Multiples). Zum einen kann auf sog. Trading Multiples zurückgegriffen werden. Diese beziehen sich auf die Kurse börsennotierter Unternehmen und bilden im Grunde Relationen zwischen dem Börsenkurs und bestimmten Bezugsgrößen ab. Solche Bezugsgrößen können der Umsatz, der Gewinn (sog. Kurs/Gewinn-Verhältnis, KGV), der EBIT etc. sein.
Gerade für nicht börsennotierte Unternehmen ist ein anderer Ansatz deutlich geeigneter. Hier werden die Multiplikatoren aus tatsächlich am Markt beobachteten Transaktionen (Verkäufen) abgeleitet. Diese sog. Transaction Multiples setzen die beobachteten Verkaufspreise ins Verhältnis zu bestimmten Bezugsgrößen wie Umsatz, Gewinn, EBIT etc.
Rz. 18
Die Multiplikatoren werden für bestimmte Branchen und unterschiedliche Unternehmensgrößen aus Marktbeobachtungen abgeleitet. Der (indikative) Unternehmenswert ergibt sich durch Multiplikation der ausgewählten Bezugsgröße (Umsatz, Gewinn, EBIT, Produktmenge etc.) mit dem Multiple. Das Ergebnis ist insb. Ausdruck der aktuellen (allgemeinen bzw. spezifischen) Kapitalkosten, der Risikoneigung potentieller Erwerber sowie des Verhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage für vergleichbare Unternehmen auf dem Markt.
Umsatz- oder produktmengenorientierte Multiplikatoren eignen sich besonders zur Ermittlung des Werts von kleineren Dienstleistungsunternehmen sowie freiberuflichen Praxen. Denn deren Marktpreise sind in erster Linie vom Wert des verkehrsfähigen Kunden- bzw. Mandantenstamms abhängig.
Rz. 19
In der Regel bildet das Multiplikationsergebnis noch nicht den tatsächlichen Wert des konkreten Unternehmens ab. Insbesondere bei EBIT- bzw. EBIT/DA-Multiples führt die bloße Multiplikation nämlich nur zum (theoretischen) Unternehmenswert (Enterprise Value). Die konkrete Finanzierungsstruktur des bewerteten Unternehmens, also vor allem die bestehenden Schulden, sind hier (noch) nicht berücksichtigt. Dies muss aber unbedingt erfolgen, um vom (theoretischen) Unternehmenswert (Enterprise Value) zum Wert des Eigenkapitals (Equity Value) zu gelangen. Praktisch bedeutet das, dass vom Enterprise Value der Wert der bestehenden (bzw. zu übernehmenden) Schulden abgezogen wird.
Rz. 20
Der Umfang der abzuziehenden Schulden ist dabei mitunter nicht ganz einfach zu bestimmen. Diese Frage bildet bei tatsächlichen Transaktionen oftmals einen bedeutsamen Streitpunkt zwischen dem potentiellen Verkäufer und dem Erwerber. Das gilt insbesondere für die Behandlung von Pensionsrückstellungen. Zur Lösung des Problems wird der Abzug oft auf die sog. zinstragenden Verbindlichkeiten beschränkt. Dadurch werden die kurzfristig orientierten Rückstellungen und insb. die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen vom Abzug ausgeschlossen.
Rz. 21
Auch wenn aus dogmatischer Sicht und auch nach Auffassung des IDW Multiplikator-Verfahren keine fundierten Ergebnisse liefern, können sie doch zur Plausibilitätskontrolle von nach dem Ertragswert- oder dem DCF-Verfahren bestimmten Unternehmenswerten herangezogen werden. Außerdem zeigt sich in der Praxis mitunter ein deutlich anderes Bild: Denn die grundsätzliche Entscheidung, ob man eine mögliche Transaktion tatsächlich ernsthaft verfolgen will, wird vielfach auf der Grundlage einer multiplikatororientierten Bewertung getroffen. Jeder andere Ansatz wäre schlicht zu aufwendig und zu teuer. Das gilt auch für große Unternehmen und auch für professionelle Erwerbsinteressenten (z.B. Finanzinvestoren). Wenn hier – wie üblich – in einer späteren Phase der Transaktion (auch) eine Bewertung nach IDW S 1 erfolgt, bildet diese im Grunde nur eine Kontrollüberlegung. Multiplikatorverfahren sind aus den vorgenannten Gründen grds. auch als "anerkannt" und "üblich" i.S.v. § 11 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BewG anzusehen.
Rz. 22
Im Bereich der praktischen Anwendung von Multiplikatormethoden stellt die Auswahl des geeigneten Multiples die wesentliche Herausforderung dar. Denn hierbei gilt es, Multiplikatoren zu finden, die aus Transaktionen mit qualitativ und quantitativ vergleichbaren Unternehmen abgeleitet wurden. Dies ist mitunter nur recht schwer erreichbar. Auch die regelmäßig veröffentlichten Multiplikator-Übersichten lassen hierzu nur sehr begrenzte Rückschlüsse zu. Sie können daher meist nur einen groben Anhalt bieten, da die Einteilung in verschiedene Branchen vergleichsweise grob vorgenommen wird und auch die Größenklassen der betrachteten Unternehmen sehr große Bandbreiten umfassen.