Rz. 12

Die Beschwer ist eine gesetzlich nicht ausdrücklich geregelte Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels.[29] Sie ist eine besondere Form des Rechtsschutzbedürfnisses und stellt sicher, dass nur eine Partei, die durch die angefochtene Entscheidung benachteiligt ist, diese zur Überprüfung durch ein Rechtsmittel stellen kann.[30]

 

Rz. 13

Da sich die Beschwer nach dem rechtskraftfähigen Inhalt der angefochtenen Entscheidung bestimmt,[31] kann sie grundsätzlich nicht allein daraus abgeleitet werden, dass die dortige Begründung – etwa wegen der Abweisung einzelner Anspruchsgrundlagen – beanstandet wird.[32] Die Berufung des Klägers, mit der dieser ein klageabweisendes Urteil in einer Verkehrsunfallsache mit dem Begehren einer Auswechselung der Urteilsgründe angreift, nämlich den erstinstanzlichen Vorwurf eines fingierten Unfalls durch eine von ihm akzeptierte Klageabweisung wegen inkompatibler Schäden zu ersetzen, ist deshalb unzulässig.[33] Anderes gilt – im Hinblick auf die Bindungswirkung für das Betragsverfahren – bei einem Grundurteil, siehe oben § 27 Rdn 146 ff.Mittelbare wirtschaftliche Folgen der Verurteilung bleiben bei der Bemessung der Beschwer ebenfalls außer Betracht.[34]

 

Rz. 14

Das Interesse an einer Korrektur der einer Partei nachteiligen Kostenentscheidung genügt grundsätzlich nicht für eine Beschwer für ein Rechtsmittel in der Hauptsache (arg. § 99 Abs. 1 ZPO),[35] siehe aber auch Rdn 10.

 

Rz. 15

Bei einem Rechtsmittel eines einfachen Streithelfers kommt es für die Beurteilung, ob die zu erreichende Rechtsmittelsumme und die erforderliche Beschwer gegeben sind, auf die unterstützte Hauptpartei an (arg. § 67 Hs. 2 ZPO).[36] Dies gilt auch bei streitgenössischer Nebenintervention (§ 69 ZPO).[37]

 

Rz. 16

Eine Anschlussberufung (§ 524 ZPO, siehe unten Rdn 176 ff.) setzt keine Beschwer voraus, da sie nicht selbst ein Rechtsmittel, sondern nur ein auch angriffsweise wirkender Antrag innerhalb der fremden (Haupt-)Berufung ist.[38]

[29] BGH, Urt. v. 5.1.1955 – IV ZR 238/54, NJW 1955, 545.
[30] BGH, Beschl. v. 18.1.2007 – IX ZB 170/06, NJW-RR 2007, 765; BGH, Urt. v. 3.11.1971 – IV ZR 26/70, BGHZ 57, 224; BGH, Urt. v. 21.6.1968 – IV ZR 594/68, NJW 1968, 2055.
[32] BGH, Urt. v. 10.3.1993 – VIII ZR 85/92, NJW 1993, 2052.
[34] BGH, Beschl. v. 15.1.2015 – V ZB 135/14, NJW-RR 2015, 337 Rn 5.
[35] BGH, Urt. v. 10.3.1993 – VIII ZR 85/92, NJW 1993, 569.
[36] BGH, Beschl. v. 24.5.2012 – VII ZR 24/11, NJW-RR 2012, 1042 Rn 5; BGH, Urt. v. 5.11.1997 – XII ZR 290/95, NJW 1998, 613; BGH, Urt. v. 16.1.1997 – I ZR 208/94, NJW 1997, 2385.
[38] BGH, Urt. v. 7.12.2007 – V ZR 210/06, NJW 2008, 1953; BGH, Beschl. v. 17.12.1951 – GSZ 2/51, BGHZ 4, 229.

1. Formelle Beschwer des Klägers

 

Rz. 17

Für den unterlegenen Kläger ist grundsätzlich die sog. formelle Beschwer maßgebend. Danach ist der Kläger insoweit beschwert, als das angefochtene Urteil von seinen (Sach-)Anträgen abweicht.[39] Dies ist auch dann der Fall, wenn das Gericht im Wege eines Anerkenntnisurteils über einen Sachantrag befindet, den der Kläger zuletzt nicht mehr zur Entscheidung gestellt hatte.[40] Ebenso ist der Kläger, der eine abschließende Sachentscheidung des Berufungsgerichts begehrt, durch eine Zurückverweisung (§ 538 Abs. 2 ZPO) an das erstinstanzliche Gericht beschwert.[41]

 

Rz. 18

Bei der Bestimmung des Beschwerdegegenstands kann eine nach Schluss der mündlichen Verhandlung geltend gemachte Klageerweiterung nicht berücksichtigt werden, da sie nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung geworden ist (§ 296a ZPO).[42]

 

Rz. 19

Hat der Kläger einen unbezifferten Antrag gestellt (siehe dazu § 26 Rdn 11), insbesondere ein angemessenes Schmerzensgeld unter Angabe einer Betragsvorstellung oder eines Mindestbetrags verlangt, und hat das Gericht ihm ein Schmerzensgeld in eben dieser Höhe zuerkannt, so ist er durch das Urteil nicht beschwert und kann es nicht mit dem alleinigen Ziel eines höheren Schmerzensgeldes anfechten;[43] auf die tatsächliche Höhe des verfolgten Anspruchs kommt es nicht an.[44] Dem kann der Kläger auch nicht dadurch entgehen, dass er schlicht keine Wertvorstellung äußert: Denn der Bezeichnung eines Mindestbetrags oder einer Größenordnung bedarf es (jedenfalls) gerade zur Bestimmung der Beschwer und zur Sicherung einer Rechtsmittelmöglichkeit. Will sich der Kläger überhaupt die Möglichkeit eines Rechtsmittels offenhalten, so muss er den Betrag nennen, den er auf jeden Fall zugesprochen haben will und bei dessen Unterschreitung er sich als nicht befriedigt ansehen würde.[45] Verlangt der Kläger jedoch mit der auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gerichteten Klage in erster Linie eine Geldrente und nur hilfsweise einen Kapitalbetrag (§ 843 Abs. 3 BGB) und gi...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge