a) Nur, wenn schriftliche Vollmacht vorliegt
Rz. 72
Wirksam zugestellt werden kann einem Verteidiger nur, wenn im Zeitpunkt der Zustellung dessen schriftliche Vertretungsvollmacht vorliegt, anderenfalls ist die Zustellung unwirksam (OLG Brandenburg zfs 2005, 571; OLG Köln DAR 2013, 337; OLG Zweibrücken NZV 2016, 492). Eine nach der Zustellung zu den Akten gereichte Vollmacht heilt diesen Mangel nicht (OLG Rostock VRS 107, 442).
Rz. 73
Achtung: Nur für das Strafverfahren erteilte Vollmacht
Gerade in Verkehrssachen wird die Sache nach Einstellung des Strafverfahrens meist zur Verfolgung der zugrundeliegenden Ordnungswidrigkeit an die Behörde abgegeben. Liegt dann nur eine ausdrücklich für das Strafverfahren erteilte Vollmacht vor, kann dem Verteidiger nicht wirksam zugestellt werden (OLG Brandenburg, Urt. v. 4.12.2008 – 2 Ss OWi 121 Z/08; OLG Zweibrücken zfs 2016, 172).
Rz. 74
Achtung: Gilt nicht bei rechtsgeschäftlich erteilter Zustellungsvollmacht
Die vorgenannten Grundsätze gelten nicht, wenn dem Verteidiger rechtsgeschäftlich eine Vollmacht zur Entgegennahme von Zustellungen erteilt worden war. Deren Erteilung kann nämlich noch nach der erfolgten Zustellung nachgewiesen werden (OLG Hamm DAR 2005, 572; OLG Braunschweig DAR 2013, 524).
b) An mehr als drei Verteidiger
Rz. 75
Eine an mehr als drei Verteidiger bewirkte Zustellung ist (unter der Voraussetzung, dass auch mehr als drei Anwälte das Mandat angenommen haben) unwirksam (OLG Stuttgart NStZ 1988, 193; AG Köln MittBl. 2003, 109).
c) Zustellung an Kanzlei anstatt an Verteidiger
Rz. 76
Die Zustellung an eine aus mehreren Anwälten bestehende Kanzlei anstelle der Zustellung an den allein bevollmächtigten Anwalt wird ebenfalls als unwirksam angesehen (AG Jena zfs 2005, 313; AG Moers DAR 2005, 703; AG Bayreuth zfs 2006, 174; AG Homburg zfs 2006, 175; AG Stadthagen zfs 2008, 642; AG Lippstadt zfs 2008, 643; AG Husum DAR 2009, 158; AG Marburg DAR 2012, 404 sowie OLG Koblenz, Beschl. v. 31.8.2004 – 1 Ss 237/04; OLG Dresden, Beschl. v. 16.2.2009 – Ss OWi 15/09 und OLG Celle zfs 2011, 647). Zustellungen an Sozien des bestellten Verteidigers, für die sich keine Vollmacht bei den Akten befindet, sind generell unwirksam (BGH MDR 1981, 982; BGH StV 1981, 12). Anderer Auffassung ist das OLG Hamm (NZV 2013, 153) für den Fall, dass die Vollmacht auf die Kanzlei ausgestellt worden war. Dabei wird jedoch übersehen, dass Verteidiger nur der Anwalt der Kanzlei ist, der die Wahl auch angenommen hat (BVerfGE 43, 79; OLG Karlsruhe VRS 105, 348; LG Bielefeld zfs 2005, 314).
d) Achtung: Ersatzzustellung in der Anwaltskanzlei
Rz. 77
Zunächst muss die Zustellung durch Übergabe an den Adressaten persönlich versucht werden (§ 177 ZPO). Voraussetzung jeder Ersatzzustellung an einen Anwalt ist deshalb, dass der Zustellungsadressat in der Kanzlei nicht angetroffen wird (KGR Berlin 2006, 30). Ersatzweise zugestellt werden darf daher nur, wenn der Zusteller entweder nicht bemerken kann, dass sich der Anwalt in der Kanzlei aufhält oder dieser an der Annahme der Zustellung verhindert ist. Das ist allerdings schon dann anzunehmen, wenn sich der Anwalt in einer Besprechung befindet. Auf jeden Fall ist der Zusteller aber verpflichtet nachzufragen, andernfalls sind die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Ersatzzustellung nicht festgestellt und die Zustellung somit unwirksam.
e) Notwendiger Inhalt der Zustellungsurkunde
Rz. 78
In der Zustellungsurkunde müssen die Voraussetzungen für eine Ersatzzustellung sowie deren Reihenfolge (§ 182 Abs. 1 Nr. 4 ZPO) dokumentiert sein, andernfalls ist die Zustellung unwirksam (OLG Düsseldorf NJW 2000, 3511).
f) Nachweis der Unrichtigkeit der Zustellungsurkunde
Rz. 79
Der Zustellungsurkunde kommt zwar gem. § 418 Abs. 1 ZPO Beweiskraft zu, § 418 Abs. 2 ZPO eröffnet jedoch den Gegenbeweis dahingehend, dass die in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen unrichtig sind. Ein solcher Gegenbeweis ist jedoch nur dann geführt, wenn ein Sachverhalt substantiiert vorgetragen und bewiesen wird, der zur Überzeugung des Gerichts jede Möglichkeit der Richtigkeit der beurkundeten Tatsache ausschließt (BVerfG NJW 1992, 224; OLG Bamberg DAR 2012, 268). Der Beweis kann durch Zeugen, z.B. auch durch Kanzleimitarbeiter geführt werden.