Rz. 35
Tipp: Eindeutige Beschuldigung
Nur ein Anhörungsbogen, auf dem der Adressat eindeutig als Beschuldigter zu erkennen ist, unterbricht die Verjährung (OLG Brandenburg DAR 2007, 396). Das ist dann nicht der Fall, wenn dem Halter ein "Anhörungsbogen/Zeugenfragebogen" nur zugestellt wird (OLG Hamm NZV 1998, 34); auch nicht im Fall einer von einem Polizeibeamten in den Briefkasten eingeworfenen "Einbestellung" mit der Bitte um Erscheinen auf der Dienststelle, ohne dass dem Schreiben eine konkrete Beschuldigung zu entnehmen wäre (OLG Koblenz zfs 2014, 170). Ebenfalls keine verjährungsunterbrechende Wirkung hat ein Anhörungsbogen, der zwar mit "Anhörung" überschrieben ist und den Verstoß aufführt, im Übrigen aber nicht klarstellt, ob der Halter als Zeuge oder als Betroffener gehört werden soll (Thüringer OLG VRS 2005, 48), z.B. wenn der Anhörungsbogen Formulierungen enthält wie z.B.: "Wenn Sie selbst für die OWi verantwortlich sind, wird Ihnen hiermit gem. § 55 OWiG Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben; sind Sie nicht verantwortlich, teilen Sie bitte die verantwortliche Person mit" (OLG Hamburg DAR 1999, 176). Das soll selbst dann gelten, wenn zu Beginn des Schreibens mitgeteilt wurde, "bei der Polizei ist gegen Sie als Betroffener ein OWi-Verfahren anhängig" (AG Ahrensburg zfs 2004, 336). Nach Auffassung des OLG Hamm (NZV 2006, 390) schadet die Bitte, den Fahrer zu benennen, dann nicht, wenn der Betroffene zuvor unmissverständlich als Beschuldigter bezeichnet war.
Rz. 36
Aus dem Anhörungsbogen muss sich unmissverständlich ergeben, dass dem Halter vorgeworfen wird, auch der für den Verstoß verantwortliche Fahrer gewesen zu sein. Es genügt deshalb nicht, wenn ihm zwar ein mit "Anhörungsbogen" überschriebenes Schreiben zugeht, diesem aber nicht eindeutig zu entnehmen ist, ob der Adressat selbst Beschuldigter ist (OLG Hamm zfs 2000, 269; OLG Zweibrücken zfs 2002, 596; OLG Dresden DAR 2004, 535; OLG Koblenz zfs 2014, 170).
1. Anordnung der Versendung
Rz. 37
Bereits die Anordnung der Versendung des Anhörungsbogens – nicht erst dessen Zugang – unterbricht die Verjährung (BGHSt 25, 6; BayObLG NZV 2003, 439; OLG Hamm DAR 2007, 96), wobei es nicht darauf ankommt, ob der Anhörungsbogen auch zugegangen ist (OLG Frankfurt 1991, 322; OLG Hamm DAR 2007, 96).
Der von einer Privatfirma im behördlichen Auftrag erstellte und abgesandte Anhörungsbogen hat gleichfalls verjährungsunterbrechende Wirkung (OLG Dresden NZV 1996, 210).
2. Dokumentation
a) Ohne Datenverarbeitung
Rz. 38
Wird der Anhörungsbogen nicht mittels eines vorprogrammierten maschinellen Ablaufs, sondern aufgrund einer Verfügung des Sachbearbeiters versandt, muss den Akten zu entnehmen sein, ob und wann er die entsprechende Verfügung unterzeichnet hat. Das Datum der Versendungsanordnung muss i.d.R. von dem zuständigen Sachbearbeiter mit Unterschrift oder Handzeichen abgezeichnet sein (OLG Düsseldorf NZV 1996, 466; OLG Dresden zfs 2005, 572). Andernfalls hat die Versendung des Anhörungsbogens keine verjährungsunterbrechende Wirkung (AG Paderborn zfs 1998, 195; OLG Köln DAR 2000, 131).
b) Versendung mittels EDV-Anlage
Rz. 39
Wird der Anhörungsbogen im Rahmen des programmierten Ablaufs einer EDV-Anlage versandt, genügt die auf mechanischem Weg automatisch ablaufende Fertigung, ohne dass eine unmittelbare Verfügung des Sachbearbeiters vorliegen muss (OLG Düsseldorf DAR 1998, 22; OLG Dresden DAR 2004, 534). Der Anhörungsbogen braucht dann weder unterschrieben zu sein, noch muss die Anordnung der Versendung die Unterschrift oder die Paraphe des Sachbearbeiters tragen (OLG Köln DAR 2000, 131), denn hier deckt die bei der Aktenanlage geleistete Unterschrift des Sachbearbeiters den gesamten weiteren vorprogrammierten Ablauf (OLG Dresden DAR 2004, 534).
Rz. 40
Achtung: EDV als Schreibhilfe
Bedient sich der Sachbearbeiter allerdings im Rahmen einer Individualentscheidung des Computers lediglich als Schreibhilfe, hat seine Anordnung dagegen nur dann verjährungsunterbrechende Wirkung, wenn er den Vorgang sogleich mit seiner Unterschrift oder seinem Handzeichen abzeichnet (OLG Köln DAR 2000, 131).
Rz. 41
Achtung: Wechsel des Beschuldigten
In den Fällen, in denen sich das Verfahren zunächst gegen den Halter richtete, dann aber auch an den zwischenzeitlich ermittelten Fahrer ein Anhörungsbogen versandt wurde, haben verschiedene Oberlandesgerichte (OLG Dresden DAR 2004, 534; OLG Hamburg DAR 2006, 223) die Auffassung vertreten, dass dann der gegen den Fahrer versandte Anhörungsbogen verjährungsunterbrechende Wirkung nur haben könne, wenn dessen Versendung auf eine durch Unterschrift oder Paraphe des Sachbearbeiters abgesicherte Individualentscheidung zurückgeführt werden könne.
Rz. 42
Dem ist der BGH (zfs 2006, 528) entgegengetreten. Zwar verlangt auch er eine eigene Verfügung des Sachbearbeiters, lässt die Verwendung des installierten Arbeitsprogramms jedoch genügen, wenn sich Inhalt und Zeitpunkt der Verfügung des Sachbearbeiters aus der auf Papier in der Akte befindlichen Vorganghistorie ergeben und sich aufgrund des Sachbearbeiterkürzels Zeitpunkt und Bearbeiter sicher feststellen lass...