Rz. 39
Die nachfolgend skizzierten drei Entscheidungen verdeutlichen, dass die Rechtsprechung bei der Vertretung von Miterben grundsätzlich einen Interessengegensatz erkennt. Ob hier wie in anderen Fällen der Interessengegensatz durch das Einverständnis des Mandanten aufgehoben werden kann, ist fraglich: Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit bei der Beurteilung, ob ein Interessenwiderstreit vorliegt, im Allgemeinen dem Einverständnis des Mandanten und dessen Weisungen ein erhebliches Gewicht eingeräumt. Es scheint mit den Entscheidungen des BGH vom 23.4.2012 sowie vom 16.1.2013 eine Wende hin zu einem objektiven Verständnis des Verbots des Parteiverrats eingeleitet worden zu sein. Dies mag man ablehnen oder jedenfalls als im Erbrecht tätiger Rechtsanwalt ausdrücklich befürworten (vgl. hierzu nachfolgend Rdn 43 ff.).
Rz. 40
BayObLG, Urt. v. 26.7.1989: Miterben haben auch ohne Meinungsverschiedenheiten einen Interessengegensatz
Leitsatz
„1. Die Interessen bei einer Auseinandersetzung zwischen mehreren Miterben stellen sich ihrer Natur nach als gegenläufig dar.
2. Ein Rechtsanwalt, der zwei Miterben wegen der Teilauseinandersetzung mit einem Dritten beraten hat, handelt pflichtwidrig, wenn er bei der dann beschlossenen vollständigen Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft einen dieser Miterben auch gegenüber dem früheren zweiten Mandanten vertritt.“
Das AG hatte den angeklagten Rechtsanwalt wegen Parteiverrats zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen von 100 DM verurteilt, das LG sprach ihn frei. Mit Revisionsurteil hob das BayObLG den Freispruch auf und tenorierte zugleich, dass "die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen (…) jedoch aufrechterhalten (bleiben)".
Rz. 41
Der angeklagte Rechtsanwalt vertrat zwei Miterbinnen einer aus drei Miterben bestehenden Erbengemeinschaft gegenüber dem dritten Miterben. Auftragsgemäß bemühte er sich um das Ausscheiden des dritten Miterben aus der Erbengemeinschaft.
Nachdem zur Vorbereitung des Ausscheidens des dritten Miterben Wertgutachten eingeholt worden waren, änderte eine Mandantin ihre Meinung und wünschte nunmehr eine vollständige Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft (anstelle des bloßen Ausscheidens des dritten Erben). Sie kündigte das Mandat. Der Rechtsanwalt vertrat die andere Miterbin weiter. Unter seiner "Mithilfe" wurde schließlich eine "einvernehmliche Regelung der Erbauseinandersetzung" getroffen und notariell beurkundet.
Rz. 42
Offensichtlich lag hier "dieselbe Rechtssache" i.S.v. § 356 StGB vor (vgl. zu diesem Begriff oben Rdn 7 ff.). Unterschiedlich haben LG und BayObLG dagegen die Frage beurteilt, ob der Rechtsanwalt "pflichtwidrig diente". Das LG war der Auffassung, dass der Parteiverrat (auch) die Verletzung der rechtlichen oder wirtschaftlichen Interessen einer Partei voraussetzt. Das BayObLG meinte dagegen, dass dies – ausschließlich – im Rahmen des nach § 356 Abs. 2 StGB zu prüfenden, straferhöhenden Merkmals des "Nachteils" beachtlich sein könne. Wesentliches Tatbestandsmerkmal der "Pflichtwidrigkeit" sei dagegen das Handeln im gegensätzlichen Interesse, da § 356 StGB ein Gefährdungsdelikt sei. Die Beurteilung hat danach losgelöst von der Frage zu erfolgen, welche Folgen aus dem Handeln des Rechtsanwalts für den (bisherigen oder aktuellen) Mandanten erwachsen. Der Interessengegensatz könne "erst im Laufe der Zeit zutage treten". Soweit es sich immer noch um "dieselbe Rechtssache" handelt – wie hier – "darf der Rechtsanwalt einem Beteiligten nicht mehr dienen, wenn er dem nunmehrigen Gegner dieses Beteiligten zuvor seinen anwaltlichen Beistand geleistet hatte. Denn der früher von einer Seite anvertraute Verfahrensstoff könnte bei einem Auftragsverhältnis durch einen anderen rechtliche Bedeutung erlangen".
Bezogen auf die Vertretung von Miterben durch einen Rechtsanwalt findet der Senat deutliche Worte:
"Die Interessen bei einer Auseinandersetzung zwischen mehreren Miterben stellen sich ihrer Natur nach als gegenläufig dar. Der Rechtsbeziehung wohnt insoweit Interessengegensatz von vornherein inne, ohne daß es zu Meinungsverschiedenheiten über die Art der Auseinandersetzung kommen müßte."
Rz. 43
BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20.6.2006: Erstreckung des Vertretungsverbots auf Sozietät bei Vertretung von Miterben
Die Entscheidung befasst sich im Wesentlichen mit der Frage, ob das Verbot nach § 43a Abs. 4 BRAO sich auf den Sozius des nicht vertretungsberechtigten Rechtsanwalts bezieht.
Der Beschwerdeführer betreibt mit einem Sozius eine Rechtsanwaltskanzlei. Er vertrat zwei Miterben gegen die dritte Miterbin. Die dritte Miterbin wurde ausgezahlt und die verbliebenen Miterben setzten die Erbengemeinschaft zunächst fort. Später kam es zu Auseinandersetzungen innerhalb der Erbengemeinschaft und der Sozius vertrat einen der Miterben gegen den anderen. Auf die Beschwerde des anderen Miterben bei der RAK legte der Sozius das Mandat nieder und der Beschwerdeführer führte das Mandat weiter. Auch hierüber beschwerte s...