I. Gesetzliche Grundlagen
Rz. 50
Der Rechtsanwalt darf nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 lit. c BRAO nicht tätig werden, wenn er in "derselben Rechtssache" (vgl. hierzu oben Rdn 7) bereits als Notar, Notarvertretung, Notariatsverwalter, Notarassessor oder als im Vorbereitungsdienst bei einem Notar tätiger Referendar tätig geworden ist (Vorbefassung). Das Verbot geht über die "Gewährleistung des ungeteilten Einsatzes des Anwalts für die Belange des Mandanten und den Schutz sensibler Informationen hinaus (…) und umfasst zusätzlich die Sicherung des Vertrauens der Öffentlichkeit in die neutrale und objektive Amtsführung der dort genannten Berufsgruppen".
Rz. 51
Der Notar "soll" nach § 3 Abs. 1 Nr. 7 BeurKG nicht an Beurkundungen mitwirken, wenn er in dieser Angelegenheit bereits außerhalb seiner Amtstätigkeit als Notar vorbefasst gewesen ist. Nach § 16 Abs. 1 BNotO wird § 3 Abs. 1 Nr. 7 BeurKG über Beurkundungen entsprechend angewandt und der Anwendungsbereich auf sämtliche Amtstätigkeiten des Notars erweitert. Diese Vorschriften sind die Ergänzung zu § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO.
II. "Dieselbe Rechtssache"
Rz. 52
Der Begriff "derselben Rechtssache" i.S.v. § 45 BRAO ist derselbe wie in § 43a Abs. 4 BRAO, § 356 StGB, vgl. hierzu ausführlich oben Rdn 7.
III. Vorhergehende Tätigkeit
Rz. 53
Das Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO, § 16 Abs. 1 BNotO wird durch jede notarielle Amtstätigkeit i.S.v. §§ 20–24 BNotO ausgelöst, also auch beispielsweise durch die bloße Beglaubigung einer Unterschrift. Es kommt dabei auch nicht darauf an, ob eine Interessenkollision besteht. Daher ist der Anwaltsnotar – "selbstverständlich" möchte man hinzufügen – gehindert, als Rechtsanwalt die Interessen eines Erben bei der Erbauseinandersetzung zu vertreten, wenn er die letztwillige Verfügung beurkundet hat. Ebenso wenig ist dem Anwaltsnotar erlaubt, ein pflichtteilsrechtliches Mandat – weder für noch gegen die Erben – anzunehmen, wenn er zuvor in dieser Nachlasssache als Notar in irgendeiner Weise tätig geworden ist.
Rz. 54
Nur auf den ersten Blick nicht ganz offensichtlich ist die Situation, wenn das angetragene Mandat nicht auf der konkreten Amtstätigkeit des Notars beruht (beispielsweise hat der Erblasser später ein neues Testament verfasst, aufgrund dessen nunmehr die Miterben untereinander oder mit einem Pflichtteilsberechtigten in Streit geraten). Aber auch in dieser Konstellation darf der Anwaltsnotar nicht als Anwalt tätig werden. Denn aufgrund der früheren Amtstätigkeit sind ihm – möglicherweise – Informationen anvertraut worden (vgl. hierzu auch ausführlich oben Rdn 11): Beispielsweise sind zur sachgerechten Testamentsgestaltung Informationen über Vermögensverhältnisse nach Art und Zusammensetzung zwingend notwendig. Diese Informationen würde er nunmehr gegen die Rechtsnachfolger seines verstorbenen Mandanten einsetzen können, wenn er Miterben oder Pflichtteilsberechtigte vertritt. In der Praxis ist zu beobachten, dass einerseits dieses Verbot ignoriert wird und andererseits die zuständigen Rechtsanwaltskammern darin keinen Verstoß sehen – obgleich die Rechtslage eindeutig ist.
IV. Rechtsfolgen
1. Sozietätserstreckung
Rz. 55
§ 45 Abs. 3 BRAO erstreckt das Tätigkeitsverbot des konkret mit dem Mandat befassten Rechtsanwalts auf sämtliche Mitglieder einer Sozietät sowie auf in sonstiger Weise zur gemeinsamen Berufsausübung verbundene Rechtsanwälte (z.B. auch Bürogemeinschaften). Erforderlich ist jedoch, dass die übrigen Rechtsanwälte (Sozien, Bürogemeinschafter usw.) Kenntnis der "tatsächlichen Umstände (haben), die das Tätigkeitsverbot begründen oder sich trotz evidenter Anhaltspunkte der Kenntnisnahme solcher Umstände (verschließen)". Der Verstoß gegen § 45 Abs. 3 BRAO kann fahrlässig begangen werden.
2. Nichtigkeit des Anwaltsvertrages
Rz. 56
Ein Verstoß gegen das Tätigkeitsverbot aus § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO führt zur Nichtigkeit des Anwaltsvertrages nach § 134 BGB. Ebenso wie einem Verstoß gegen das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen (vgl. dazu oben Rdn 28) bleiben Prozessvollmacht sowie Prozesshandlungen des Rechtsanwalts jedoch wirksam. Nach § 156 Abs. 2 BRAO sollen Gerichte und Behörden einen Rechtsanwalt, der entgegen einem Berufs- oder Vertretungsverbot auftritt, zurückweisen. Es ist umstritten, ob dieses Recht zur Zurückweisung sich – analog – auch auf ein Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO erstreckt. Da die Überwachung der Einhaltung ausschließlich der Berufsaufsi...