1. Allgemeines
Rz. 4
Ein Bußgeldbescheid ist nur bei ganz schweren Mängeln unwirksam, ihm fehlt dann im Falle des Einspruches die Verfahrensgrundlage (OLG Hamm DAR 2005, 524). Ein solcher Bußgeldbescheid kann auch nicht die Verjährung unterbrechen (OLG Düsseldorf VRS 80, 219). Für die Wirksamkeit eines Bußgeldbescheides kommt es allerdings – wenn die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind – nicht auf dessen Zustellung an (OLG Hamm NZV 2007, 374).
Im Gegensatz zur Nichtigkeit ist die Unwirksamkeit eines Bußgeldbescheides im Vollstreckungsverfahren ohne jede Bedeutung.
2. Zweifel an der Tatidentität
a) Tatbegriff
Rz. 5
Der Begriff der Tat im Bußgeldverfahren deckt sich mit dem für das Strafverfahren maßgeblichen Tatbegriff des Art. 103 Abs. 3 GG (BayObLG JR 2002, 523).
b) Tat muss unverwechselbar eingegrenzt sein
Rz. 6
Zeitpunkt und Ort der Begehung müssen so genau bezeichnet sein, dass Zweifel an der Tatidentität nicht möglich sind (BGHSt 32, 215). Andernfalls besteht ein zur Einstellung zwingendes Verfahrenshindernis (BGHSt 23, 336). Von Unwirksamkeit kann indessen so lange nicht die Rede sein, wie für den Betroffenen nicht infrage stehen kann, welcher Sachverhalt ihm zur Last gelegt wird (OLG Bamberg DAR 2009, 155).
Generell kann gesagt werden, dass Mängel in der Bezeichnung der Tat, die deren Abgrenzung zu anderen historischen Vorgängen nicht infrage stellen, sondern nur die Verteidigung des Betroffenen erschweren, die Wirksamkeit des Bußgeldbescheides nicht beeinträchtigen (OLG Köln NZV 2000, 97; OLG Hamm NZV 2004, 317; OLG Karlsruhe DAR 2004, 467).
Rz. 7
Wann ein Bußgeldbescheid unwirksam ist, ist eine Frage des Einzelfalls, denn die gleichen Angaben können, z.B. nach einem Verkehrsunfall (OLG Düsseldorf DAR 1970, 136) oder wenn der Betroffene unmittelbar nach dem Tatgeschehen angehalten wurde und daher eine Verwechselung ausgeschlossen ist (OLG Hamm NJW 1970, 71), eher zur Bestimmung der Tatidentität ausreichen als nach einer folgenlosen Zuwiderhandlung, die i.d.R. näher gekennzeichnet sein muss (BGHSt 23, 336).
c) Unter Zuhilfenahme des Akteninhaltes
Rz. 8
Zur Klärung der Frage, ob die Tat hinreichend bestimmt ist, soll nach Auffassung des BayObLG (NZV 1994, 448; NZV 1998, 515) und des OLG Köln (NZV 2000, 97) auch auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen werden können, wohingegen der BGH (BGHSt 23, 336) eine Heilung von Mängeln der Tatbestandsabgrenzung mithilfe anderer Erkenntnisquellen nicht zuließ.
d) Tipp: Unzureichende Eingrenzung
Rz. 9
Ein Bußgeldbescheid, der im Falle einer folgenlosen Missachtung des Rotlichtes ohne nähere Kennzeichnung einer Ampelanlage als Tatort lediglich eine Straße angibt, in der sich mehrere Verkehrsampeln befinden, stellt keine ausreichende Verfahrensgrundlage dar (OLG Hamm VRS 54, 54). Dies gilt ebenso, wenn eine auf einer langen Fahrtstrecke begangene Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen wird, ohne den Tatort näher (AG Riesa zfs 2003, 44) bzw. nur fehlerhaft (AG Ratzeburg zfs 2009, 228) einzugrenzen.
Rz. 10
Ebenso wenig genügt den Anforderungen ein Bußgeldbescheid, der dem Betroffenen zur Last legt, ein untersagtes Gewerbe ausgeübt zu haben, ohne konkrete Tathandlungen nach Art, Zeit und Ort ihrer Begehung mitzuteilen. Ein solcher Bußgeldbescheid ist deshalb nicht geeignet, Grundlage eines gerichtlichen Bußgeldverfahrens zu sein (OLG Düsseldorf StraFo 1998, 125; zfs 1999, 264; AG Husum NZV 2018, 148). Das gilt ebenso, wenn ein unzutreffender Tattag angegeben ist und der Betroffene nach dem Verstoß nicht angehalten wurde (AG Dillenburg zfs 2010, 652).
Rz. 11
Unzureichend ist eine Tat auch dann eingegrenzt, wenn einem Lkw-Fahrer anhand eines Schaublattes eine Geschwindigkeitsüberschreitung nachgewiesen werden soll, der Bußgeldbescheid aber nicht unverwechselbar ausweist, welche von mehreren (wegen verschiedener Fahrtunterbrechungen) möglichen Taten vorgehalten wird und dies auch nicht unter Zuhilfenahme des Akteninhaltes geklärt werden kann (BayObLG NZV 1998, 515), ebenso wenn bei einem Rotlichtverstoß im Bußgeldbescheid (oder Urteil) Tatzeit und Tatort nicht angegeben werden (OLG Düsseldorf zfs 1999, 264).
Rz. 12
Selbst wenn der Bußgeldbescheid (oder die Anordnung des Verfalls nach § 29a OWiG) eine Vielzahl von Taten zum Gegenstand hat, müssen die einzelnen Fahrten, konkretisiert durch Fahrzeug, Fahrdatum, Fahrstrecke und Geschwindigkeit bzw. Überladung, im Bußgeldbescheid mitgeteilt werden. Zwar genügt es, als Anlage zum Bußgeldbescheid eine tabellarische Übersicht beizufügen, der bloße Hinweis auf den Akteninhalt genügt jedoch nicht (AG Hamburg DAR 2008, 537).
Rz. 13
Achtung: Lkw-Fahrtenschreiber
Anhand der bei Lkw-Kontrollen entnommenen Schaublätter können die Beamten häufig – teilweise länger zurückliegende – Verkehrsverstöße des Fahrers nachweisen.
Rz. 14
Umstritten ist in solchen Fällen, ob der Bußgeldbescheid die Tat ausreichend konkretisiert, also eine wirksame Verfahrensgrundlage darstellt, und zwar deshalb, weil regelmäßig anstelle des nicht bekannten Tatortes die Kontrollstelle oder der Firmensitz des Halters angegeben wird. Die h.M. hält – gegen etwa von Suhren oder LG Münster (DAR 1995, 303) geäußerte Zweifel – solche Bußgeldbescheid...