Leonie Lehrmann, Walter Krug
Rz. 27
Hat sich der Schenker – was in der Praxis häufig vorkommt – den Nießbrauch an dem geschenkten Gegenstand vorbehalten, so ist vom Wert des Gegenstandes der dem Schenker eingeräumte kapitalisierte Nießbrauch abzuziehen. Nur dieser Rest ist der Wert der Schenkung.
Zur Kapitalisierung ist der jährliche Nettoertrag des Nießbrauchs mit der Lebenserwartung des Nießbrauchers auf der Grundlage des Vervielfältigungsfaktors gemäß Anlage 9 zu § 14 Bewertungsgesetz in der zum Zeitpunkt der Grundstücksübertragung gültigen Fassung zu multiplizieren (zu dieser Berechnungsmethode vgl. OLG Celle FamRZ 2009, 462, 463; ZEV 2003, 83, 84; OLG Koblenz ZEV 2002, 460, 461 = RNotZ 2002, 437).
Rz. 28
Die Ermittlung des Jahreswerts des Nießbrauchs erfolgt nach § 15 Abs. 3 BewG:
Zitat
"Bei Nutzungen oder Leistungen, die in ihrem Betrag ungewiss sind oder schwanken, ist als Jahreswert der Betrag zugrunde zu legen, der in Zukunft im Durchschnitt der Jahre voraussichtlich erzielt werden wird."
Die Finanzverwaltung nimmt i.d.R. für die Ermittlung der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) einen Durchschnittswert aus zwei bis drei Jahren zur Zeit der Schenkung an.
Rz. 29
Bewertung eines Wohnungsrechts, §§ 528, 818, 2287 BGB, nach OLG Frankfurt/M.:
Zur Bewertung eines Wohnungsrechts und zur Abgrenzung eines Vertrages, durch den ein Erblasser sein Eigentum an einem Hausgrundstück gegen Rentenzahlungen und Einräumung eines Wohnungsrechts überträgt, von einem Schenkungsvertrag:
In dem vom OLG Frankfurt/M. entschiedenen Fall wurde ein Hausgrundstück gegen eine Rentenzahlungsverpflichtung und Einräumung eines Wohnungsrechts übertragen.
Das OLG hat bei der Kapitalisierung der Gegenleistungen eine ex-ante-Betrachtung angestellt und auf der Grundlage der Lebenserwartung nach der Sterbetafel bewertet: "Maßgeblich ist insoweit der Zeitpunkt des Rechtsgeschäfts – spätestens die Eigentumsumschreibung."
Bei monatlichen Rentenbeträgen von 400 DM wurde die Rente kapitalisiert:
400 DM × 12 Monate × 8,86 Kap.fakt. = 42.528 DM.
Das Wohnungsrecht wurde bewertet bei einem Mietwert von 7,35 DM/qm mit:
7,35 DM × 82 qm × 12 Monate × 8,86 = 64.079,06 DM.
Das OLG Celle hat im Zusammenhang mit einem Pflichtteilsergänzungsanspruch im Grundsatz das Wohnungsrecht nach § 14 BewG ex ante bewertet, aber dennoch einen Vorbehalt bei kurzer Lebensdauer des Schenkers gemacht:
Zitat
"1. Bei der Bewertung einer Grundstücksschenkung mit Wohnrechtsvorbehalt gemäß § 2325 Abs. 2 S. 2 BGB ist der Jahresnutzwert des Wohnrechts als künftig wiederkehrende Gegenleistung auf den Zeitpunkt der Übertragung mit dem sich aus Anlage 9 zu § 14 BewG in der bei Vertragsschluss maßgeblichen Fassung zu kapitalisieren."
2. Wegen des einer Grundstücksübertragung gegen Einräumung eines Wohnrechts innewohnenden Risikos der künftigen Entwicklung bleibt der spätere tatsächliche Verkauf zwischen Vertragsschluss und Erbfall unberücksichtigt (abw. OLG Oldenburg NJW-RR 1999, 734). Ein angemessener Abschlag von dem sich aus Anlage 9 zu § 14 BewG ergebenden Kapitalisierungsfaktor ist ausnahmsweise dann vorzunehmen, wenn bereits bei Vertragsschluss mit dem baldigen Ableben des Erblassers gerechnet werden musste, dieser Umstand beiden Vertragsschließenden bekannt war, und der Erblasser auch tatsächlich kurze Zeit nach Vertragsschluss verstorben ist.“
Rz. 30
Der BGH ist im Pflichtteilsergänzungsrecht in anderem Zusammenhang, nämlich bei der Bewertung eines vor der Wiedervereinigung Deutschlands verschenkten Grundstücks, hinsichtlich des Grundstückswerts von einer ex-ante-Betrachtung ausgegangen:
Zitat
"... Für die Frage, ob das Grundstück, das die Erblasserin der Beklagten übertragen hat, als eine zumindest gemischte Schenkung zum fiktiven, der Pflichtteilsergänzung unterliegenden Nachlaß gehört, kommt es auf die Wertverhältnisse beim Vollzug des Vertrages an (BGHZ 147, 95, 98; Senatsbeschluß vom 14.12.1994 IV ZA 3/94 ZEV 1995, 335 = FamRZ 1995, 420). Hierzu hat das Berufungsgericht festgestellt, daß die am 28.3.1985 vor dem Staatlichen Notariat beurkundete Übertragung des Grundstücks am 6.8.1985 durch Eintragung im Grundbuch vollzogen worden sei. ..."
Danach kommt es für das Vorliegen einer Schenkung auf die Wertverhältnisse im Jahre 1985 an. ... Lag damals ein entgeltliches Geschäft vor, kann daraus durch die Wertsteigerung des Grundstücks nach der deutschen Einigung kein auch nur teilweise unentgeltliches Geschäft geworden sein. ...
Um dagegen eine ergänzungspflichtige Schenkung im Sinne von §§ 2325 ff. BGB annehmen zu können, bedarf es zunächst objektiv einer Bereicherung des einen Vertragspartners (zu übernommenen Lasten und Gegenleistungen vgl. BGHZ 107, 156, 159 ff.; BGH, Urt. v. 19.1.1999 X ZR 42/97 NJW 1999, 1626 unter I 2b). Dabei sind sowohl das Grundstück als auch das Wohn-, Mitbenutzungs- und Pflegerecht der Erblasserin nach den Verhältnissen in der DDR im Jahre 1985 zu bewerten. ...“