Rz. 37
Auch bei der lebzeitigen Übergabe einer Praxis bzw. Kanzlei an den Nachfolger ist durch den Berater die spätere Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen zu bedenken. Dies ist insbesondere dann nötig, wenn ein Teil der Praxis oder Kanzlei unentgeltlich, zu einem geringeren Wert oder aber (lediglich) unter dem Vorbehalt des Nießbrauchs, ansonsten aber unentgeltlich übertragen wurde. In Betracht kommen unter anderem Pflichtteilsergänzungsansprüche gemäß § 2325 BGB. Beachtlich sind die Zuwendungen, wenn sie unentgeltlich oder teilunentgeltlich, innerhalb der letzten zehn Jahre vor Versterben des Erblassers erfolgt sind. Bei Zuwendungen an den Ehegatten sowie bei Zuwendungen unter Vorbehalt eines Nießbrauchsrechts sind diese Zuwendungen ohne jede zeitliche Beschränkung im Rahmen des Pflichtteilsergänzungsanspruchs zu berücksichtigen. In diesem Fall wird die 10-Jahresfrist erst mit dem Zeitpunkt der Auflösung der Ehe in Gang gesetzt.
Rz. 38
Weiterhin muss mit der Geltendmachung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs gerechnet werden, wenn bei einer rein gesellschaftsrechtlichen Lösung der Gesellschaftsanteil den übrigen Partnern anwächst und ein grobes Altersmissverhältnis bzw. ingesamt ein grobes Missverhältnis der die einzelnen Gesellschafter treffenden Risiken besteht. Das Ableben eines Gesellschafters aufgrund seines hohen Alters ist in diesem Fall also wesentlich wahrscheinlicher als das des anderen Gesellschafters. Ferner wird der Pflichtteilsergänzungsanspruch bejaht, wenn das Anwachsen der Anteile gegenüber den anderen Gesellschaftern nur für bestimmte Partner gilt. Erfolgt die Unentgeltlichkeit, also der Ausschluss des Abfindungsrecht jedoch für alle Gesellschafter und wechselseitig, so geht der BGH bisher davon aus, dass keine Schenkung vorliegt. Vielmehr unterstellt der BGH für diesen Fall einen bereits unter Lebenden vollzogenen entgeltlichen Vertrag. Die Entgeltlichkeit wird dabei vor allem aus dem Charakter des Wagnisses der Vereinbarung abgeleitet; sog. aleatorisches Geschäft.
Rz. 39
Nachfolgeklauseln:
Die Nachfolge bei einfachen und qualifizierten Sondererbfolgen vollzieht sich im Wege der Singularsukzession. Für mögliche Pflichtteilsansprüche gilt Folgendes: Bei einer einfachen Nachfolgeklausel (siehe Rdn 47) vertritt die herrschende Meinung die Rechtsauffassung, dass diese keinen Fall des § 2306 BGB darstellen, also nicht als Beschwerung eines pflichtteilsberichtigen Erben angesehen werden können. Begründet wird dies damit, dass sämtliche Erben im Verhältnis ihrer jeweiligen Erbquoten als Gesellschafter dem Erblasser nachfolgen. Bei einer qualifizierten Nachfolgeklausel (siehe Rdn 51) ist diese Beurteilung jedoch sehr viel schwieriger. Zu beachten sind der gesellschaftsvertragliche Rahmen der Fortsetzung der Gesellschaft sowie die Regelung der Erbfolge als solches. Bei der Beurteilung sollte wie folgt unterschieden werden: Wurde die qualifizierte Nachfolgeklausel aus rein gesellschaftsrechtlichen Gründen angeordnet, so ist die Anwendung des § 2306 BGB jedenfalls schwierig, wenn nicht gar ausgeschlossen, da die Erben in diesem Fall ohnehin nicht von Todes wegen in die Gesellschaft einrücken können, wohingegen für den Fall, dass es mit der Anordnung der qualifizierten Nachfolgeklausel nur um die gezielte Bestimmung von Erben (testamentarische Zuweisung eines vererblich gestellten Gesellschaftsanteils) geht, für die Anwendung des § 2306 BGB plädiert werden muss. In solch einem Fall besteht nämlich kein Vorrang des Gesellschafsrechts, sondern die Beurteilung erfolgt allein aufgrund erbrechtlichen Kategorien. Im Umkehrschluss würde nämlich auch niemand an der Anwendung des § 2306 BGB zweifeln, wenn Anteile einer Kapitalgesellschaft im Rahmen einer Teilungsanordnung einem bestimmten Erben zugewandt werden würden.
Rz. 40
Will nun der Kanzlei- oder Praxisinhaber in jedem Fall seine Kanzlei oder Praxis zu Lebzeiten übertragen, gleichzeitig aber die Gefahren, die mit der Geltendmachung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs durch die Erben gegenüber der Gesellschaft (Kanzlei oder Praxis) verbunden sind (Liquiditätsengpass), minimieren, so kommt dem Übergeber die Neufassung des § 2325 Abs. 3 BGB zugute. Danach wird der Wert der Schenkung nur noch im ersten Jahr vor dem Erbfall voll berücksichtigt. Für jedes weitere vergangene Jahr wird ein Zehntel weniger angesetzt. Je länger die Schenkung seit dem Erbfall zurückliegt, desto weniger findet sie wertmäßig Berücksichtigung.
Stirbt ein ehemaliger Praxisinhaber also fünf Jahre nach Übergabe der Praxis, so findet der Wert der Praxis bei der Bemessung des Pflichtteils nur noch zu 50 Prozent Berücksichtigung.
Rz. 41
Bei einer schenkungsweisen Aufnahme eines Gesellschafters in eine Personengesellschaft beginnt die Frist mit dem Eintritt des Anwaltes oder Arztes in die Kanzlei oder Praxis. Bei Ausscheiden des Kanzlei- bzw. Praxisübergebers zu Lebzeiten beginnt die Frist mit dem Ausscheiden aus de...