Rz. 73
Der Begriff der unerlaubten und einer dieser gleichgestellten Handlung (Art. 7 Nr. 2 EuGVVO; Art. 5 Nr. 3 LugÜ II) ist weit – sowie autonom (siehe oben Rdn 62) und unter Berücksichtigung der Systematik und der Zielsetzungen der Verordnung – auszulegen, weil zwischen der Streitigkeit und den Gerichten des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, eine besonders enge Beziehung besteht, die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eine Zuständigkeit dieser Gerichte rechtfertigt. Bei unerlaubten Handlungen oder ihnen gleichgestellten Handlungen ist nämlich das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, insbesondere wegen der Nähe zum Streitgegenstand und der leichteren Beweisaufnahme in der Regel am besten in der Lage, den Rechtsstreit zu entscheiden. Mit der besonderen Zuständigkeitsregel für Verfahren, die eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung zum Gegenstand haben, wird dagegen nicht wie mit den Zuständigkeitsvorschriften betreffend – insbesondere – Versicherungssachen (siehe unten Rdn 92, 108, 108 und 108 ff.) bezweckt, der schwächeren Partei einen verstärkten Schutz zu gewährleisten.
Rz. 74
Erfasst werden daher alle Klagen, mit denen eine Schadenshaftung geltend gemacht wird, die nicht an einen Vertrag (Art. 7 Nr. 1 EuGVVO; Art. 5 Nr. 1 LugÜ II; zum ebenfalls autonom auszulegenden Begriff des "Vertrags" siehe oben Rdn 62) anknüpft. Dass zwischen den Parteien des Verfahrens eine vertragliche Beziehung besteht und eine der Vertragsparteien eine Klage wegen zivilrechtlicher Haftung gegen die andere Vertragspartei erhebt, schließt allerdings die Geltendmachung einer außervertraglichen Schadenshaftung nicht zwingend aus. Dies ist vielmehr nur dann so, wenn das vorgeworfene Verhalten als Verstoß gegen die vertraglichen Verpflichtungen angesehen werden kann, wie sie sich anhand des Vertragsgegenstands ermitteln lassen (siehe dazu Rdn 62); ist dabei eine Auslegung des Vertrags der Parteien unerlässlich, um zu klären, ob das Verhalten, das der Kläger dem Beklagten vorwirft, rechtmäßig oder widerrechtlich ist, hat die Klage einen Vertrag oder Ansprüche daraus zum Gegenstand. Trifft dies – was das nationale Gericht zu ermitteln hat – nicht zu, dann betrifft der Gegenstand des Verfahrens eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer solchen gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung. Die Haftung aus unerlaubter Handlung oder aus einer dieser gleichgestellten Handlung setzt ferner voraus, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schaden und dem ihm zugrunde liegenden Ereignis feststellbar ist.
Rz. 75
Eine Abtretung oder Legalzession hindert die Annahme der Zuständigkeit nicht, auf die sich daher auch der jeweilige Rechtsnachfolger berufen kann. Zur hiervon abweichenden Beurteilung für Zuständigkeiten in Versicherungssachen siehe unten Rdn 108 ff.
Rz. 76
Erfasst werden neben Ansprüchen auf Geldersatz auch Unterlassungsansprüche. Auf den Eintritt eines Schadens kommt es nicht an; ausweislich des Wortlauts der Regelung fallen auch vorbeugende Klagen in den Anwendungsbereich der Bestimmung.
Rz. 77
Ebenso kann im deliktischen Gerichtsstand eine negative Feststellungsklage (siehe oben § 26 Rdn 167 ff.) erhoben werden mit dem Antrag festzustellen, dass keine Haftung aus einer unerlaubten Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, besteht, oder eine – sofern nach der lex fori zulässige – Stufenklage (§ 254 ZPO) wegen deliktischer oder gleichgestellter Ansprüche. Daher kann auch der Unfallgegner – Fahrzeughalter und/oder -führer – des Geschädigten gegen diesen am Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist (siehe unten Rdn 82 ff.), insbesondere also am Unfallort, eine negative Feststellungsklage erheben. Umstritten ist dagegen, ob der deliktische Gerichtsstand insoweit auch dem Krafthaftpflichtversicherer des Unfallgegners offensteht. Dagegen spricht der Schutzcharakter der für Versicherungssachen – weitgehend – abschließend geregelten Zuständigkeiten (siehe unten Rdn 92 ff.), die dem Versicherer einen Gerichtsstand an dem Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, gerade nicht eröffnen (arg. Art. 12 EuGVVO; Art. 10 LugÜ II). Im Wohnsitzstaat des Geschädigten kann der Versicherer allerdings – obwohl für ihn die allgemeine Zuständigkeitsregelung nicht greift (Art. 10 EuGVVO) – eine negative Feststellungsklage gegen diesen erheben (Art. 14 Abs. 1 EuGVVO; Art. 12 Abs. 1 LugÜ II). Zur prozessualen Behandlung in verschiedenen Mitgliedstaaten parallel anhängiger Leistungs- und negativer Feststellungsklagen siehe oben Rdn 51.
Rz. 78
Eine internationale Zuständigkeit wird sowohl für Ansprüche aus Delikt (insbesond...