Rz. 99
Besondere Regelungen sind – insbesondere – für Haftpflichtversicherungen vorgesehen. So kann der Versicherer hier – und bei der Versicherung von unbeweglichen Sachen – auch vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist (Art. 12 S. 1 EuGVVO; Art. 10 S. 1 LugÜ II). Dieser Ort ist ebenso zu bestimmen wie beim Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, siehe daher dazu oben Rdn 82 ff.
Rz. 100
Die Gerichtspflichtigkeit des Versicherers vor dem Gericht, bei dem die Klage des Geschädigten gegen den Versicherten anhängig ist (Interventionsklage, Art. 13 Abs. 1 EuGVVO; Art. 11 Abs. 1 LugÜ II; siehe auch Rdn 132 f.), findet in Deutschland keine Anwendung (Art. 65 Abs. 1 EuGVVO; Art. II Abs. 1 und 2 des Protokolls 1 zum LugÜ II). Dem Versicherer kann aber der Streit verkündet werden (Art. 13 Abs. 3 EuGVVO; Art. 11 Abs. 3 LugÜ II). In anderen Mitgliedstaaten aufgrund dieser Zuständigkeit ergangene Entscheidungen werden aber in Deutschland anerkannt (Art. 65 Abs. 2 EuGVVO; Art. II Abs. 3 des Protokolls 1 zum LugÜ II).
Rz. 101
Eine (Direkt-)Klage des Geschädigten unmittelbar gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers kann sowohl im Gerichtsstand des Versicherers (Art. 11 EuGVVO; Art. 9 LugÜ II; siehe oben Rdn 97 f.) als auch im Gerichtsstand des Schadensortes (Art. 12 EuGVVO; Art. 10 LugÜ II; siehe oben Rdn 99) erhoben werden, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist (Art. 13 Abs. 2 EuGVVO; Art. 11 Abs. 2 LugÜ II).
Rz. 102
Ob ein Direktanspruch des Geschädigten gegen den Versicherer besteht, bestimmt sich nicht nach Prozessrecht, sondern nach materiellem Recht. Maßgebend ist somit die kollisionsrechtlich zu ermittelnde lex causae. Bei in Deutschland erhobenen Direktklagen ist – da es sich um deliktische Ansprüche handelt – als Kollisionsrecht seit dem 11.1.2009 die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II-VO) zugrunde zu legen. Danach kann der Geschädigte seinen Anspruch direkt gegen den Versicherer des Haftenden geltend machen, wenn dies nach dem auf das außervertragliche Schuldverhältnis (Deliktsstatut) oder nach dem auf den Versicherungsvertrag anzuwendenden Recht (Versicherungsvertragsstatut) vorgesehen ist (Art. 18 Rom II-VO). Außerhalb des Anwendungsbereichs der Verordnung gilt nach deutschem Kollisionsrecht nichts anderes (Art. 40 Abs. 4 EGBGB). Einen Direktanspruch des Geschädigten sieht auch die Verordnung (EG) Nr. 392/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.2009 über die Unfallhaftung von Beförderern von Reisenden auf See vor (dort Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Anhang I Art. 4 bis Abs. 10).
Rz. 103
Deliktische Ansprüche wiederum unterliegen im Grundsatz dem Recht des Erfolgsortes (Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO). Für ab dem 17.12.2009 abgeschlossene Versicherungsverträge ermittelt sich das einschlägige Recht anhand der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO). Der deutsche Gesetzgeber hat insoweit von der ihm eingeräumten Befugnis (Art. 7 Abs. 4b Rom I-VO) Gebrauch gemacht und – im Anwendungsbereich der Rom I-VO – eine eigene Kollisionsnorm für Pflichtversicherungen geschaffen, wonach das Recht des die Versicherungspflicht aufstellenden Mitgliedstaats dann zur Anwendung kommt, wenn dieser – wie auch Deutschland selbst (Art. 46d Abs. 2 EGBGB) – sein Sachrecht ausdrücklich angewendet wissen will (Art. 46d Abs. 1 EGBGB). Ansonsten bleibt es bei der Grundanknüpfung der allgemeinen Regel (Art. 7 Abs. 2 und 3 Rom I-VO), also bei fehlender Rechtswahl bei der Anwendung des Rechts des Mitgliedstaats, in dem zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses das Risiko belegen ist (Art. 7 Abs. 3 S. 2 Rom I-VO). Inhaltlich entspricht dies der nationalen deutschen Vorgängerregelung (Art. 12 Abs. 1 und 2 EGVVG).
Rz. 104
Der nach deutschem Recht bestehende Direktanspruch (§ 115 Abs. 1 VVG) greift folglich nur, wenn anhand der vorstehenden Regelungen deutsches Recht berufen ist. Im Bereich der EU und des EWR – zu dem außer den Mitgliedstaaten der EU auch Island, Norwegen und Lichtenstein zählen – sind allerdings alle Mitgliedstaaten nach Art. 18 der Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (KH-Richtlinie) verpflichtet, einen Direktanspruch des Geschädigten eines Unfalls gegen den Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers einzuführen. Auch das schweizer (Art. 65 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz) und das türkische (Art. 97 tStVG) Recht kennen einen Direktanspruch.
Rz. 105
Besteht ein Direktanspruch nach dem maßgeblichen materiellen Recht, so kann der Geschädigte vor dem Gericht des Ortes in einem Mitgliedsta...