Rz. 92
Für Klagen in Versicherungssachen bestimmt sich die internationale Zuständigkeit – vorbehaltlich abweichender ausschließlicher Gerichtsstände oder vorrangiger Gerichtsstandsvereinbarungen – nach den Regelungen im Abschnitt 3 des Kapitels II der EuGVVO (Art. 10 ff. EuGVVO; Art. 8 ff. LugÜ II). Diesen liegt das Bestreben zugrunde, den Versicherungsnehmer/Versicherten, der meist mit einem vorformulierten, in seinen Einzelheiten nicht mehr verhandelbaren Vertrag konfrontiert wird und in aller Regel der wirtschaftlich Schwächere ist, durch Zuständigkeitsvorschriften zu schützen, die für ihn günstiger sind als die allgemeine Regelung (Erwägungsgrund 18 EuGVVO). Die für Versicherungssachen vorgesehenen besonderen Zuständigkeitsregeln dürfen daher nicht auf Personen erstreckt werden, die dieses Schutzes nicht bedürfen (siehe auch Rdn 108 ff.).
Rz. 93
Ein Rückgriff auf die allgemeinen Zuständigkeitsregelungen (Kap. II Abschnitt 1 und 2 EuGVVO/LugÜ II) ist nur zulässig, soweit im Abschnitt 3 des Kapitels II vorgesehen. Soweit die Regelungen der EuGVVO/des LugÜ II nicht einschlägig sind, kommt eine Bestimmung der – örtlichen und damit auch – internationalen Zuständigkeit nach § 215 Abs. 1 VVG (siehe dazu § 25 Rdn 102 ff.) in Betracht. Eine Gerichtsstandsvereinbarung zwischen einem Versicherer und einem Schädiger als dessen Versicherungsnehmer kann dem Geschädigten, der einen versicherten Schaden erlitten hat, nicht entgegengehalten werden, wenn er eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, oder vor dem Gericht des Ortes, an dem er seinen Wohnsitz hat, erheben will.
Rz. 94
Hat der Beklagte keinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat (siehe hierzu oben Rdn 57 ff.), so bestimmt sich die Zuständigkeit nach nationalem Recht (Art. 10, 6 EuGVVO; Art. 8, 4 LugÜ II). Zur Ausnahme für Versicherer (Art. 11 Abs. 2 EuGVVO; Art. 9 Abs. 2 LugÜ II), siehe unten Rdn 98.
1. Anwendungsbereich
Rz. 95
Der Begriff der "Versicherungssache" (Art. 10 EuGVVO; Art. 8 LugÜ II) ist autonom und weit auszulegen. Erfasst werden alle Streitigkeiten, die sich auf den Abschluss, die Auslegung, die Durchführung und Beendigung eines privaten Versicherungsverhältnisses beziehen; zur Sozialversicherung siehe oben Rdn 27.
Rz. 96
Im Hinblick auf ihren Schutzzweck (siehe oben Rdn 92) finden die Regelungen weder auf den Rückgriff eines Versicherers oder Sozialversicherungsträgers gegen den Schädiger noch auf Rückversicherungsverträge oder beim Streit zweier Versicherer Anwendung. Schon keine "Versicherer" (im Sinne von Art. 11 ff. EuGVVO; Art. 9 ff. LugÜ II) sind sonstige Entschädigungsstellen wie ein "behandelndes Büro" im Rahmen des Grüne-Karte-Systems oder die Entschädigungsstelle gemäß der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungs-Richtline (KH-Richtlinie; siehe unten Rdn 104). Eine – erweiternde oder analoge – Anwendung auf "Scheinversicherer" findet nicht statt.