Rz. 54
Grundsätzlich sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen (Art. 4 Abs. 1 EuGVVO; Art. 2 Abs. 1 LugÜ II). Diese allgemeine Zuständigkeit ist auch dann gegeben, wenn der Kläger in einem Drittstaat ansässig ist. Sie greift ebenso, wenn zwar beide Parteien im selben Mitgliedstaat ihren Wohnsitz haben, aber ein Auslandsbezug durch den Ort der streitigen Ereignisse hergestellt wird.
Rz. 55
Von dieser allgemeinen Zuständigkeitsregelung kann nur in den in der EuGVVO enumerativ benannten Ausnahmen (Art. 7–26 EuGVVO; Art. 3–23 LugÜ II) abgewichen werden (Art. 2 Abs. 1 EuGVVO; Art. 2 Abs. 1 LugÜ II; siehe oben Rdn 30).
Rz. 56
Für die Begründung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte reicht es aus, dass diese erst im Laufe des Rechtsstreits durch einen nach Klageerhebung eingetretenen Wohnsitzwechsel geschaffen wurde. Entfallen die Zuständigkeitsvoraussetzungen während des Prozesses, so gilt der Grundsatz derperpetuatio fori (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO).
1. Wohnsitz einer natürlichen Person
Rz. 57
Der Wohnsitz einer natürlichen Person wird – mangels einer autonomen Begriffsbestimmung durch die EuGVVO – grundsätzlich nach dem nationalen Recht des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts beurteilt (Art. 62 Abs. 1 EuGVVO; Art. 59 Abs. 1 LugÜ II). Der bloße Aufenthaltsort vermag keine allgemeine internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO zu begründen. Hat die beklagte Partei im Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts keinen Wohnsitz, so wendet das Gericht, wenn es über das Bestehen eines Wohnsitzes in einem anderen Mitgliedstaat entscheidet, dessen – also fremdes – Recht an (Art. 62 Abs. 2 EuGVVO; Art. 59 Abs. 2 LugÜ II).
Rz. 58
Die Verweisung der EuGVVO geht auf die nationalen prozessrechtlichen Regelungen zum Wohnsitz. Soweit das maßgebliche Prozessrecht nicht (nur) auf das dortige materiell-rechtliche Wohnsitzrecht (wie hier z.B. §§ 7–11 BGB) verweist, sondern eigene Regeln über den Wohnsitz entwickelt (wie hier z.B. § 15 ZPO), gelten folglich diese.
2. Wohnsitz einer juristischen Person
Rz. 59
Bezüglich des "Wohnsitzes" von Gesellschaften und juristischen Personen enthält die EuGVVO dagegen eine autonome Begriffsbestimmung, wonach sich deren (Wohn-)Sitz an dem Ort befindet, an dem sich alternativ (a) ihr satzungsmäßiger Sitz, (b) ihre Hauptverwaltung oder (c) ihre Hauptniederlassung befindet (Art. 63 Abs. 1 EuGVVO; Art. 60 Abs. 1 LugÜ II).
3. Örtliche Zuständigkeit
Rz. 60
Eine örtliche Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats wird durch Art. 4 Abs. 1 EuGVVO/Art. 2 Abs. 1 LugÜ II nicht begründet. Diese ist vielmehr nach den jeweiligen nationalen Regelungen zu ermitteln (in Deutschland also nach §§ 12 ff. ZPO). Da die Anwendung der nationalen Vorschriften die praktische Wirksamkeit der EuGVVO nicht beeinträchtigen darf, muss das danach international zuständige nationale Gericht seine lex fori so auslegen, dass es ihm möglich ist, ein örtlich und sachlich zuständiges Gericht festzustellen oder zu bestimmen.