Rz. 71
Die Regelungen über den Gerichtsstand am Ort der unerlaubten Handlung (Art. 5 Nr. 3 EuGVVO a.F.) haben durch die ab dem 10.1.2015 geltende Neufassung der EuGVVO (Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, dem Art. 5 Nr. 3 LugÜ II inhaltlich entspricht) keine inhaltliche Änderung erfahren.
Rz. 72
Die besondere – nicht: ausschließliche – Zuständigkeit ist eng auszulegen und erlaubt keine Auslegung, die über die ausdrücklich in der EuGVVO vorgesehenen Fälle hinausgeht (siehe auch oben Rdn 30). Die Ablehnung einer internationalen Zuständigkeit am Ort der unerlaubten Handlung in einer Vorentscheidung hindert nicht die Annahme einer internationalen Zuständigkeit aufgrund einer Streitgenossenschaft (Art. 8 Nr. 1 EuGVVO; dazu siehe unten Rdn 120 ff.). Soweit es nur um die Prüfung der Zuständigkeit durch das nationale Gericht geht, darf dieses die einschlägigen Behauptungen des Klägers zu den Voraussetzungen der Haftung aus unerlaubter Handlung oder aus einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, als erwiesen ansehen. Auch wenn das angerufene nationale Gericht im Fall des Bestreitens der Behauptungen des Klägers durch den Beklagten aber nicht verpflichtet ist, im Stadium der Ermittlung der Zuständigkeit ein Beweisverfahren durchzuführen, können sowohl das Ziel einer geordneten Rechtspflege als auch die gebotene Achtung der Autonomie des Richters bei Ausübung seines Amtes erfordern, dass dieses Gericht seine internationale Zuständigkeit im Licht aller ihm vorliegender Informationen prüfen kann, wozu gegebenenfalls auch die Einwände des Beklagten gehören (siehe auch unten Rdn 142 f.).
1. Unerlaubte und eine dieser gleichgestellte Handlung
Rz. 73
Der Begriff der unerlaubten und einer dieser gleichgestellten Handlung (Art. 7 Nr. 2 EuGVVO; Art. 5 Nr. 3 LugÜ II) ist weit – sowie autonom (siehe oben Rdn 62) und unter Berücksichtigung der Systematik und der Zielsetzungen der Verordnung – auszulegen, weil zwischen der Streitigkeit und den Gerichten des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, eine besonders enge Beziehung besteht, die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eine Zuständigkeit dieser Gerichte rechtfertigt. Bei unerlaubten Handlungen oder ihnen gleichgestellten Handlungen ist nämlich das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, insbesondere wegen der Nähe zum Streitgegenstand und der leichteren Beweisaufnahme in der Regel am besten in der Lage, den Rechtsstreit zu entscheiden. Mit der besonderen Zuständigkeitsregel für Verfahren, die eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung zum Gegenstand haben, wird dagegen nicht wie mit den Zuständigkeitsvorschriften betreffend – insbesondere – Versicherungssachen (siehe unten Rdn 92, 108, 108 und 108 ff.) bezweckt, der schwächeren Partei einen verstärkten Schutz zu gewährleisten.
Rz. 74
Erfasst werden daher alle Klagen, mit denen eine Schadenshaftung geltend gemacht wird, die nicht an einen Vertrag (Art. 7 Nr. 1 EuGVVO; Art. 5 Nr. 1 LugÜ II; zum ebenfalls autonom auszulegenden Begriff des "Vertrags" siehe oben Rdn 62) anknüpft. Dass zwischen den Parteien des Verfahrens eine vertragliche Beziehung besteht und eine der Vertragsparteien eine Klage wegen zivilrechtlicher Haftung gegen die andere Vertragspartei erhebt, schließt allerdings die Geltendmachung einer außervertraglichen Schadenshaftung nicht zwingend aus. Dies ist vielmehr nur dann so, wenn das vorgeworfene Verhalten als Verstoß gegen die vertraglichen Verpflichtungen angesehen werden kann, wie sie sich anhand des Vertragsgegenstands ermitteln lassen (siehe dazu Rdn 62); ist dabei eine Auslegung des Vertrags der ...