Dr. iur. Berthold Hilderink
Rz. 303
Fraglich ist, ob eine unwirksame Kündigung in eine Anfechtungserklärung umgedeutet werden kann (zur Anfechtung des Arbeits-/Dienstvertrags vgl. § 18 Rdn 30 ff.). Auch diese Problematik kann sich insb. dann stellen, wenn die ausgesprochene Arbeitgeberkündigung wegen Verstoßes gegen § 9 MuSchG nichtig ist.
Rz. 304
Die Umdeutung des Ausspruches einer unwirksamen ordentlichen, fristgerechten Kündigung in eine Anfechtungserklärung scheitert indes daran, dass dies bedeuten würde, ein nichtiges Rechtsgeschäft – die ordentliche Kündigung – durch ein Rechtsgeschäft mit weiter gehenden Folgen für den Kündigungsadressaten zu ersetzen (BAG v. 14.10.1075, NJW 1976, 592; ErfK/Müller-Glöge, § 620 BGB Rn 63). Die Anfechtung würde zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses – wenn auch nur ex nunc (vgl. § 18 Rdn 53 f.) – führen. Die Anfechtung des Arbeitsverhältnisses hat die gleiche Wirkung wie eine außerordentliche Kündigung. Ebenso wenig wie in diese kann die Erklärung einer ordentlichen fristgerechten Kündigung deshalb in eine Anfechtung umgedeutet werden (BAG v. 14.10.1975 – 2 AZR 365/74, NJW 1976, 592 m.w.N.).
Rz. 305
I.Ü. ist zur vorangegangenen Problematik zu beachten, dass die Unkenntnis des Arbeitgebers von der Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin in aller Regel ohnehin keine Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft (§ 119 Abs. 2 BGB) rechtfertigt, weil Eigenschaften im Sinne dieser Vorschrift nur solche sind, die der Person auf Dauer anhaften, eine Schwangerschaft aber ihrer Natur nach nur vorübergehend ist (BAG v. 8.6.1955, AP MuSchG, § 9 Nr. 2; BAG v. 6.2.1992 – 2 AZR 408/91, NZA 1992, 790). Regelmäßig kann der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag auch nicht wegen arglistiger Täuschung anfechten, wenn eine Bewerberin die Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft unrichtig beantwortet hat. Diese Frage stellt eine nach § 7 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG unzulässige Diskriminierung wegen des Geschlechtes bei der Einstellung dar. Auch bereits vor Inkrafttreten des AGG musste eine Bewerberin diese Frage nicht wahrheitsgemäß beantworten (BAG v. 15.10.1992 – 2 AZR 227/92, NZA 1993, 257).
Rz. 306
In diesem Zusammenhang ist ferner die Rspr. des EuGH zu beachten. Danach kommt eine Nichtigkeit des Arbeitsvertrages wegen Verstoßes gegen die mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote nach den §§ 3, 4, und 8 MuSchG regelmäßig nicht mehr in Betracht (EuGH v. 5.5.1994, NJW 1994, 1077; EuGH v. 3.2.2000, NJW 2000, 1019; EuGH v. 4.10.2001, NJW 2002, 125; EuGH v. 27.2.2003, NJW 2003, 1107). Der EuGH sieht es als einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 (a.F.) der RL 76/207/EWG an, wenn ein unbefristeter Arbeitsvertrag, der eine Arbeit zum Gegenstand hat, die nachts zu verrichten ist und der zwischen dem Arbeitgeber und der schwangeren Arbeitnehmerin in beiderseitiger Unkenntnis der Schwangerschaft abgeschlossen wurde, wegen des nach dem nationalen Recht während der Schwangerschaft und des Stillens geltenden Nachtarbeitsverbotes für nichtig erklärt wird oder dass er vom Arbeitgeber aufgrund eines Irrtums über die wesentlichen Eigenschaften der Arbeitnehmerin bei Vertragsabschluss angefochten werden kann. Die frühere – insofern großzügigere – Rspr. des BAG (v. 6.10.1962, NJW 1963, 622 m.w.N.; BAG v. 8.9.1988, NJW 1989, 929) ist infolgedessen überholt. Nichtigkeit kann somit nur noch in Fällen angenommen werden, in denen das Beschäftigungsverbot für die gesamte Laufzeit des beabsichtigten Arbeitsverhältnisses bestehen würde und bei Vertragsabschluss mit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 8 Abs. 6 MuSchG nicht gerechnet werden kann (vgl. BAG v. 8.9.1988, NZA 1989, 178).
Rz. 307
Nach alledem wird der Arbeitgeber eine Bewerberin nach einer Schwangerschaft nur fragen dürfen, wenn diese befristet eingestellt werden soll und für die gesamte vorgesehene Vertragsdauer ihre Beschäftigung mutterschutzrechtlich verboten wäre, selbst wenn möglicherweise eine Ausnahmegenehmigung nach § 8 Abs. 6 MuSchG erteilt werden könnte. Nur in einem solchen Fall kann die Anfechtung nach § 123 BGB durchgreifen. Wird die schwangere Bewerberin hingegen unbefristet eingestellt, ist eine Anfechtung trotz anfänglichen Beschäftigungsverbotes ausgeschlossen (BAG v. 6.2.2003 – 2 AZR 621/01, NZA 2003, 848).
Rz. 308
Die Umdeutung einer unwirksamen außerordentlichen fristlosen Arbeitgeberkündigung in eine Anfechtung ist dagegen grds. nicht ausgeschlossen (ErfK/Müller-Glöge, § 620 BGB Rn 63). Sie setzt voraus, dass es dem mutmaßlichen Willen des Arbeitgebers entspricht, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ggf. auf diesem Wege zu erreichen, und dass dem Arbeitnehmer dieser Wille erkennbar war. Hinzukommen muss – sonst liegen die Voraussetzungen für eine wirksame Anfechtung ihrerseits nicht vor –, dass die beabsichtigte sofortige Auflösung auf einen Grund gestützt wird, der bei Abschluss des Arbeitsverhältnisses schon vorlag (vgl. ArbG Wiesbaden v. 8.11.1975, BB 1975, ...