Dr. iur. Berthold Hilderink
a) Zeitpunkt der Anhörung
Rz. 71
Die Betriebsratsanhörung muss vor der Verwirklichung der Kündigungsabsicht durchgeführt worden sein, d.h. bevor das Kündigungsschreiben abgesandt wurde (BAG v. 13.11.1975, AP Nr. 7 zu § 102 BetrVG 1972). Durch das in § 102 BetrVG ausgestaltete Beteiligungsverfahren wird dem Betriebsrat vor dem Kündigungsausspruch eine Einflussnahme auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers eingeräumt (BAG v. 25.5.2016 – 2 AZR 345/15, Rn 22; BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 348/11, Rn 76). Die Unterrichtung gemäß § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG soll dem Betriebsrat Gelegenheit geben, die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen und sich über sie eine eigene Meinung zu bilden, um ggf. auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen (BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, Rn 17; BAG v. 16.7.2015 – 2 AZR 15/15, Rn 14). Die vom Betriebsrat vorgebrachten Einwendungen sollen den Arbeitgeber ggf. dazu veranlassen, von seinem Kündigungsvorhaben Abstand zu nehmen oder es doch in geänderter Form zu verwirklichen, etwa anstatt einer Beendigungs- "nur" eine Änderungskündigung zu erklären oder dem Arbeitnehmer mit einer Änderungskündigung einen geringeren Eingriff in seinen "Besitzstand" anzutragen (BAG v. 25.5.2016 – 2 AZR 345/15, Rn 22). Soweit dieser präventive Kündigungsschutz nicht durchgreift, kann der Betriebsrat mit einem Widerspruch die individuelle Rechtsstellung des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess verbessern (§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Hs. 2 KSchG) und diesem unter den Voraussetzungen des § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG die Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens ermöglichen (BAG v. 25.5.2016 – 2 AZR 345/15, Rn 22).
Dem oben genannten Zweck widerspricht es, das Verfahren zu einem Zeitpunkt einzuleiten, in dem der Arbeitgeber seinen Kündigungsentschluss noch nicht abschließend gefasst hat (BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, Rn 17). Die Anhörung des Betriebsrats erfolgt dann vorzeitig, nämlich in einer Phase, in der die Kündigungsüberlegungen noch unter dem Vorbehalt der weiteren Entwicklung stehen (BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, Rn 17). Eine solche Anhörung "auf Vorrat" ist unzulässig (BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, Rn 17). Der Betriebsrat könnte sich lediglich gutachterlich zu einem fiktiven Sachverhalt äußern (BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, Rn 17; BAG v. 22.4.2010 – 2 AZR 991/08, Rn 14).
Davon zu unterscheiden sind Anhörungen, die lediglich offenlassen, ob der Arbeitgeber eine Änderungs- oder eine Beendigungskündigung erklären wird, der Kündigungssachverhalt für beide Alternativen im Zeitpunkt der Anhörung aber feststeht und jedenfalls eine der beiden Kündigungen definitiv ausgesprochen werden soll (BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, Rn 18). Eine solche Anhörung widerspricht nicht dem Schutzzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG (BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, Rn 18). Die Willensbildung des Arbeitgebers, auf die dem Betriebsrat die Einflussnahme ermöglicht werden soll, ist dann regelmäßig abgeschlossen (BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, Rn 18; BAG v. 22.4.2010 – 2 AZR 991/08, Rn 16).
b) Form der Anhörung
Rz. 72
Die Anhörung des Betriebsrates erfolgt durch schriftliche oder mündliche Unterrichtung, die grds. während der Arbeitszeit stattfindet.
Hinweis
Aus Gründen der späteren Beweisführung empfiehlt es sich dringend, die Anhörung schriftlich vorzunehmen.
c) Adressat der Anhörung
aa) Betriebsrat
Rz. 73
Für das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG ist grds. der Betriebsrat des Betriebes zuständig, dem der Arbeitnehmer angehört (BAG v. 12.5.2005 – 2 AZR 149/04, NZA 2005, 1358). Maßgeblich ist der Betrieb, in welchem der Arbeitnehmer nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft seine Arbeitsleistung erbringt. Ist ein Arbeitnehmer zeitlich befristet zu einem anderen Betrieb versetzt und soll er nach Ablauf des vorgesehenen Zeitraumes in seinen ursprünglichen Beschäftigungsbetrieb zurückkehren, ist bei einer Kündigung – auch während der Versetzungszeit – der Betriebsrat des ursprünglichen Beschäftigungsbetriebes zu beteiligen.
bb) Gesamtbetriebsrat
Rz. 74
Der Gesamtbetriebsrat ist gem. § 50 Abs. 1 S. 1 BetrVG nur zuständig, wenn eine Angelegenheit das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betrifft und nicht durch einzelne Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden kann. Eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates liegt daher nur ausnahmsweise vor, bspw. wenn ein Arbeitsverhältnis mehreren Betrieben des Unternehmens gleichzeitig zuzuordnen ist (BAG v. 21.3.1996 – 2 AZR 559/95, NZA 1996, 974). Dabei reicht jedoch die bloße, im Arbeitsvertrag vorgesehene Möglichkeit, einen Arbeitnehmer auch in anderen Betrieben des Unternehmens einzusetzen, nicht aus. Gefordert wird vielmehr ein dauerhafter Einsatz des Arbeitnehmers im Sinne einer Eingliederung in mehr als einen Betrieb.
cc) Konzernbetriebsrat
Rz. 75
Der Konzernbetriebsrat (§§ 54 ff. BetrVG) ist regelmäßig für das Beteiligungsverfahren nicht zuständig. Gem. § 58 Abs. 1 BetrVG ist der Konzernbetriebsrat für die Behandlung von Angelegenheiten zuständig, die den Konzern oder mehrere Konzernunternehmen betreffen und die nicht d...