Dr. iur. Berthold Hilderink
a) Mitteilung von Bedenken
Rz. 127
Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, muss er diese binnen einer Ausschlussfrist von einer Woche unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber schriftlich mitteilen. Bei einer außerordentlichen Kündigung beträgt die Frist drei Tage (§ 102 Abs. 2 BetrVG). Es zählen Kalendertage, nicht Werktage. Die Fristberechnung folgt den allgemeinen Vorschriften der §§ 187 ff. BGB. Die Wochenfrist des § 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG endet nach § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des Tages der nächsten Woche, der durch seine Benennung dem Tag entspricht, an jenem dem Betriebsrat das Anhörungsschreiben zugegangen ist. Dabei endet die Wochenfrist an diesem Tag um 24.00 Uhr und nicht schon mit Dienstschluss der Personalabteilung des Arbeitgebers (BAG v. 8.4.2003 – 2 AZR 515/02, NZA 2003, 961). Entsprechendes gilt für die Drei-Tage-Frist für außerordentliche Kündigungen. Fällt der Fristablauf auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, läuft die Frist gem. § 193 BGB erst am folgenden Werktag ab. Erst nach Ablauf der Frist bzw. abschließender Stellungnahme des Betriebsrates darf der Arbeitgeber die Kündigung aussprechen. Ansonsten ist sie aufgrund fehlerhafter Betriebsratsanhörung nichtig.
Rz. 128
Wenn der Arbeitgeber eine außerordentliche und hilfsweise eine ordentliche Kündigung aussprechen möchte, muss er für den Ausspruch der außerordentlichen Kündigung nicht den Ablauf der Wochenfrist abwarten. Er kann die außerordentliche Kündigung vielmehr nach Ablauf der Drei-Tage-Frist aussprechen. Die ordentliche Kündigung kann er allerdings erst nach Ablauf der Wochenfrist erklären, falls vorher keine abschließende Stellungnahme des Betriebsrates vorliegt.
Rz. 129
Wird der Betriebsrat nur zu einer außerordentlichen Kündigung gem. § 102 BetrVG angehört und erfolgt später im Prozess eine Umdeutung gem. § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung, ist die ordentliche Kündigung nur dann nicht nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam, wenn der Betriebsrat der außerordentlichen Kündigung ausdrücklich ohne Vorbehalt zugestimmt hat (im Einzelnen s.o. Rdn 94).
Rz. 130
Die Stellungnahmefrist kann von den Betriebspartnern einvernehmlich verlängert werden (BAG v. 18.8.1977, AP Nr. 10 zu § 103 BetrVG 1972, GK-BetrVG/Kraft, § 102 Rn 97; a.A. LAG Hamburg v. 20.3.1985, DB 1985, 2106). Kurze Rückfragen oder klarstellende Ergänzungen verlängern die Stellungnahmefrist jedoch nicht. Die Frist beginnt jedoch "neu zu laufen, wenn der Arbeitgeber sein Vorbringen in der Äußerungsfrist nicht nur unwesentlich ergänzt" (BAG v. 17.2.2000 – 2 AZR 913/98, NZA 2000, 761).
Rz. 131
Eine Verkürzung der Frist ist generell nicht möglich. Das BAG hat – jedoch ohne nähere Begründung – eine einseitig vom Arbeitgeber veranlasste Abkürzung der gesetzlichen Anhörungsfristen bei einer Betriebsstilllegung in Betracht gezogen, wenn sich die wirtschaftliche Lage des Betriebes plötzlich und unvorhergesehen derart verschlechtert, dass der sofortige Ausspruch von Kündigungen unabweisbar notwendig ist (BAG v. 13.12.1975, AP BetrVG 1972, § 102 Nr. 7; a.A. GK-BetrVG/Raab Rn 99; Ascheid/Preis/Schmidt/Koch, § 102 BetrVG Rn 131).
Rz. 132
Bei Massenentlassungen nach §§ 17 ff. KSchG tritt keine automatische Verlängerung der Anhörungsfrist ein (GK-BetrVG/Raab, Rn 104; Ascheid/Preis/Schmid/Koch, § 102 BetrVG Rn 132). Nach Auffassung des BAG kann es aber rechtsmissbräuchlich sein, wenn sich der Arbeitgeber bei einer Massenentlassung auf die fehlende Einhaltung der Wochenfrist beruft, bspw. wenn der Betriebsrat durch die Anzahl der beabsichtigten Kündigungen erkennbar in der Wahrnehmung seines Beteiligungsrechtes beeinträchtigt wird und ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der vom Gesetz vorgesehenen zeitlichen Abwicklung des Anhörungsverfahrens innerhalb einer Woche nicht ersichtlich ist (BAG v. 14.8.1986 – 2 AZR 561/85, NZA 1987, 601).
Rz. 133
Allerdings hat das BAG offengelassen, welche Rechtsfolgen sich aus einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten des Arbeitgebers ergeben. Denkbar wären bspw. die Unwirksamkeit der Kündigung oder lediglich eine betriebsverfassungsrechtliche Sanktion, etwa mit der Folge, dass der Betriebsrat auch noch nach Fristablauf innerhalb einer angemessenen Frist Widerspruch gegen die beabsichtigte Kündigung erheben kann. Die besseren Argumente sprechen für eine "lediglich" betriebsverfassungsrechtliche Sanktion, weil das rechtsmissbräuchliche Verhalten des Arbeitgebers ggü. dem Betriebsrat wirkt.
Rz. 134
Erscheint es dem Betriebsrat nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich, soll er vor der Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer anhören. Unterlässt er dies, stellt dies zwar eine Pflichtverletzung ggü. dem Arbeitnehmer dar, die Kündigung wird hierdurch jedoch nicht unwirksam (BAG v. 2.4.1976, AP Nr. 9 zu § 2 BetrVG 1972; BAG v. 3.2.1982, AP Nr. 1 zu § 72 BPersVG; Schaub, ArbRHB, § 124 II Rn 52).
Rz. 135
Bei der Äußerung von Bedenken i.S.d. § 102 Abs. 2 BetrVG ist der Betriebsrat nicht an den Katalog des § 102 Abs. 3 BetrVG gebunden, er kann vielmehr ...