Dr. iur. Berthold Hilderink
1. Allgemeines
Rz. 62
Gem. § 102 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine Kündigung, die ohne Anhörung des Betriebsrates ausgesprochen wird, ist unwirksam.
2. Gegenstand des Anhörungsrechts
a) Kündigung des Arbeitsverhältnisses
Rz. 63
Der Betriebsrat ist nach dem Wortlaut des § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG vor jeder Kündigung zu hören. Hierunter ist jede Art der Kündigung durch den Arbeitgeber zu verstehen. Ob das KSchG Anwendung findet oder überhaupt deutsches Arbeitsrecht anzuwenden ist, ist hierbei unerheblich (BAG v. 9.11.1977, AP Nr. 13 zu Internationales Privatrecht, Arbeitsrecht; Fitting, BetrVG, § 102 Rn 6). Die Anhörungspflicht erstreckt sich sowohl auf ordentliche als auch auf außerordentliche Kündigungen. Sie gilt für sämtliche Arbeitsverhältnisse unabhängig davon, ob es sich um eine Teilzeitbeschäftigung, ein Probearbeitsverhältnis oder ein Arbeitsverhältnis mit einem geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer handelt. § 102 BetrVG ist auch auf die Kündigung von Arbeitnehmern anwendbar, die in Heimarbeit beschäftigt sind (BAG v. 7.11.1995 – 9 AZR 268/94, DB 1996, 1525).
Rz. 64
Obwohl das KSchG während der ersten sechs Monate des Bestehens des Arbeitsverhältnisses gem. § 1 Abs. 1 KSchG keine Anwendung findet, ist der Betriebsrat auch zu Kündigungen während der Probezeit und zu Kündigungen vor Dienstantritt anzuhören (LAG Hessen v. 31.5.1985, DB 1985, 2689; BAG v. 3.12.1998, NZA 1999, 478).
Rz. 65
Auch vor Ausspruch einer Änderungskündigung (§ 2 KSchG; siehe § 25 Rdn 1 ff.) ist der Betriebsrat anzuhören. Wie sich aus dem Wortlaut des § 2 KSchG ergibt, enthält die Änderungskündigung stets eine Beendigungskündigung verbunden mit dem Angebot, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Arbeitsbedingungen fortzusetzen. Zu unterrichten ist der Betriebsrat über die Kündigung und das Änderungsangebot sowie seine soziale Rechtfertigung.
b) Sonstige Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Rz. 66
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates greift nicht ein, wenn ein Arbeitsvertrag nicht durch eine Kündigung, sondern in anderer Art und Weise beendet werden soll. Dies ist bspw. der Fall, wenn ein Arbeitsverhältnis aufgrund einer zulässigen Befristung endet oder wenn die Arbeitsvertragsparteien einen Aufhebungsvertrag vereinbaren.
Rz. 67
Nicht der Mitbestimmung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG unterliegt außerdem die Anfechtung eines Arbeitsverhältnisses wegen Irrtums (§ 119 BGB) oder arglistiger Täuschung bzw. widerrechtlicher Drohung nach § 123 BGB (Küttner/Kreitner, Mitbestimmung, personelle Angelegenheiten Rn 18), weil sie gerade keine Kündigung ist. Auch bei dem vorbehaltenen Widerruf einzelner Arbeitsbedingungen besteht kein Anhörungsrecht. Unter Umständen ist jedoch ein Widerruf aufgrund der Konkretisierung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zulässig und der Arbeitgeber muss eine Änderungskündigung aussprechen, zu der dann wiederum der Betriebsrat anzuhören ist.
c) Betrieblicher und persönlicher Anwendungsbereich
Rz. 68
Der räumliche Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes richtet sich nach dem Territorialitätsprinzip. Das Gesetz gilt für alle in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Betriebe unabhängig vom Vertragsstatut der dort beschäftigten Arbeitnehmer. Das Anhörungsrecht des Betriebsrates gilt in allen Betrieben, in denen ein Betriebsrat existiert, unabhängig von der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer. Auch in Tendenzbetrieben muss der Betriebsrat angehört werden (BAG v. 7.11.1975, AP Nr. 4 zu § 118 BetrVG 1972).
Rz. 69
Keine Anwendung findet das Anhörungsrecht des Betriebsrates nach § 102 BetrVG auf die Kündigung leitender Angestellter. Hier ist der Betriebsrat vielmehr nach § 105 BetrVG lediglich zu informieren. Eine Verletzung dieser Informationspflicht hat allerdings auf die Wirksamkeit der Kündigung keinen Einfluss. Bei einem Arbeitnehmer, dem erst nach Ablauf der Probezeit die Funktion eines leitenden Angestellten zukommen soll, bleibt das Mitbestimmungsrecht nach § 102 BetrVG bis zu diesem Zeitpunkt bestehen (BAG v. 25.3.1976, AP Nr. 13 zu § 5 BetrVG 1972).
Für leitende Angestellte ist eine Anhörung grds. nicht erforderlich. Gem. § 105 BetrVG ist dem Betriebsrat die Kündigung eines leitenden Angestellten lediglich mitzuteilen.
Hinweis
Es empfiehlt sich in der Praxis dennoch, den Betriebsrat vorsorglich gem. § 102 BetrVG anzuhören, da die Einordnung eines Arbeitnehmers als leitender Angestellter i.S.v. § 5 Abs. 3 BetrVG häufig problematisch ist.
Die Information des Betriebsrates nach § 105 BetrVG über die Entlassung eines leitenden Angestellten kann jedenfalls nicht ohne Weiteres in eine Anhörung nach § 102 BetrVG umgedeutet werden (BAG v. 19.8.1975, AP Nr. 1 zu § 105 BetrVG 1972).
Rz. 70
Ob das BetrVG auch Arbeitnehmer deutscher Betriebe erfasst, die im Ausland tätig sind, ist eine Frage seines persönlichen Geltungsbereichs. Erfasst werden nur solche Mitarbeiter, bei deren Tätigkeit es sich um eine "Ausstrahlung" des Inlandsbetriebs handelt. Erforderlich ist eine Beziehung zum Inlandsbetrieb, die es rechtfertigt, die Auslandstätigkeit der im Inland entfalteten Betriebstätigkeit zuzurechnen (st. Rspr., BAG v...