Rz. 1

Im Zuge der sog. Hartz-Gesetze wurde mit Wirkung zum 1.4.2003 eine sozialversicherungsrechtliche Gleitzone geschaffen und in § 20 Abs. 2 SGB IV definiert. Die Ein­führung dieser Gleitzone ging auf einen Vorschlag der Hartz-Kommission zurück.[1] Im Hinblick auf die Beitragslast sollte sie den Übergang von der sozialversicherungsfre­ien entgeltgeringfügigen Beschäftigung im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV (dazu oben § 27) in die normal sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erleichtern. Im Volksmund hat sich in sprachlicher Anpassung an die Bezeichnung entgeltgeringfügiger Beschäftigungsverhältnisse als Minijob rasch die Bezeichnung eines Arbeitsverhältnisses in der Gleitzone als "Midi-Job“ durchgesetzt."

 

Rz. 2

Die Gleitzone betraf zunächst Arbeitsverhältnisse, aus denen ein monatliches Bruttoeinkommen zwischen 400,01 EUR und 800 EUR resultierte. Im Zuge der Anhebung der Entgeltobergrenze der geringfügigen Beschäftigung auf 450 EUR verschob sich später auch die Gleitzone auf den noch bis 30.6.2019 gültigen Einkommensbereich zwischen 450,01 EUR und 850 EUR. Zum ab 1.7.2019 geltenden Recht siehe unten Rdn 8 ff.

 

Rz. 3

Midi-Jobs sind voll versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Es werden reguläre Sozialversicherungsbeiträge abgeführt; lediglich die anteilige Verteilung auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist modifiziert (siehe sogleich Rdn 5 ff. sowie im Einzelnen unten Rdn 18 ff.). Der Arbeitnehmer erwirbt im Grundsatz den vollen Sozialversicherungsschutz.

 

Rz. 4

Bis zum 30.6.2019 besteht eine wichtige Ausnahme von dem vollen Sozialversicherungsschutz: Aus §§ 70, 163 Abs. 10 SGB VI ergibt sich, dass der Rentenberechnung nur das fiktiv verminderte Entgelt zugrunde gelegt wird, sodass der Arbeitnehmer Rentenansprüche nicht aus seinem tatsächlichen Midi-Job-Gehalt, sondern aus dem fiktiv verminderten Betrag erwirbt. Diesen Nachteil kann er wettmachen, indem er auf den Gleitzonen-Vorteil verzichtet und schriftlich gegenüber dem Arbeitgeber erklärt, dass als beitragspflichtige Einnahme das tatsächliche Arbeitsentgelt gelten soll, § 163 Abs. 10 S. 6 SGB VI. Dann erwirbt der Arbeitnehmer den vollen Rentenversicherungsanspruch aus seinem tatsächlichen Gehalt, muss aber auch den vollen Rentenversicherungsbeitrag entrichten; siehe Rdn 12 sowie zum neuen Recht Rdn 29.

 

Rz. 5

Kern der Idee der Gleitzone ist es, die Beitragslast auf Arbeitnehmerseite beim (ggf. nur geringfügigen) Überschreiten der Entgeltgeringfügigkeitsgrenze[2] nicht sprunghaft ansteigen zu lassen und also den Übergang von der geringfügigen Beschäftigung in die regulär sozialversicherte Teilzeitbeschäftigung nicht unnötig zu erschweren. Nachdem in der politischen Diskussion zuvor auch andere Umsetzungskonzepte erörtert worden waren, besteht das Regelungskonzept der Gleitzone von Anfang darin, dem betroffenen Arbeitnehmer den (nahezu) vollen Sozialversicherungsschutz bei verminderter Beitragslast zu verschaffen. Das Ziel der Entlastung der Arbeitnehmer wird dadurch erreicht, dass der vom Arbeitnehmer zu tragende Anteil an den Sozialversicherungsbeiträgen im Rahmen der Gleitzone nicht – wie sonst – aus dem tatsächlichen Arbeitsentgelt zu berechnen ist, sondern aus einem verminderten fiktiven Entgelt.

 

Rz. 6

Dieser Einstieg in die Beitragspflicht auf Arbeitnehmerseite gestaltet sich gleitend – daher der Name. Je mehr der Arbeitnehmer verdient, desto näher ist der Arbeitnehmerbeitrag der regulären Berechnung angenähert. Systembedingt und gewollt ist also der Entlastungseffekt für solche Arbeitnehmer am größten, deren Gehalt die Entgeltobergrenze der Geringfügigkeit (derzeit 450 EUR) nur geringfügig überschreitet. Der Effekt schmilzt bis zur Obergrenze der Gleitzonenregelung sukzessive auf Basis einer gesetzlich vorgegebenen Berechnungsformel ab.

 

Rz. 7

Die Beitragsentlastung kommt ausschließlich dem Arbeitnehmer zugute. Der Arbeitgeber hingegen wird nicht nur nicht entlastet, sondern im Vergleich zur üblichen paritätisch verteilten Beitragslast sogar zusätzlich belastet. Da in der Gleitzone nur der Arbeitnehmeranteil aus dem verminderten fiktiven Entgelt berechnet wird, es für die Höhe des Gesamtsozialversicherungsbeitrags aber bei der regulären Bemessung aus dem tatsächlichen Arbeitsentgelt verbleibt, steigt der Arbeitgeberanteil um genau denselben Betrag an, um den der Arbeitnehmer entlastet ist. Die Beitragslast verschiebt sich also von der Parität zu einem Ungleichgewicht zu Lasten des Arbeitgebers, das umso größer ist, je näher das vereinbarte Entgelt an der Entgeltgeringfügigkeit (450 EUR) liegt. Anders als weithin bekannt wirkt sich die Gleitzone also nicht als eine soziale Förderung niedrig entlohnter Arbeitnehmer durch die Versichertengemeinschaft oder gar durch den Fiskus aus, sondern werden die Beitragsausfälle allein durch den jeweiligen Arbeitgeber ausgeglichen.

[1] Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, Bericht der Kommission, S. 170.
[2] Diese lag 2003 noch bei 400 EUR; inzwischen liegt sie bei 450 EUR.

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