Rz. 23

Für eine Übertragung einer bestehenden Alleinsorge eines Elternteils auf den anderen genügt es nicht schon, dass der sorgeberechtigte Elternteil es an der erforderlichen Aktivität bei der Ausübung der elterlichen Sorge fehlen lässt. Die Grenze wird allerdings dort erreicht, wo durch das passive Verhalten eines Elternteils ein Kind in seiner Persönlichkeitsentwicklung Schaden zu nehmen droht.[90] Der Verpflichtung, das Kind zu erziehen und zu pflegen, kommt der sorgeberechtigte Elternteil nicht ausreichend nach, wenn er etwa ärztliche Behandlungsanordnungen zu Lasten des Kindes nicht befolgt[91] oder er ein sprachgestörtes Kind nicht schulen lässt.[92] In diesen Fällen kann eine Abänderung der Sorgerechtsentscheidung geboten sein. Gleiches gilt, wenn ein Elternteil die Kinder derart eng an sich bindet, dass sie keine Möglichkeit der eigenständigen Entwicklung haben[93] oder generell eine gewaltfreie Erziehung nicht gewährleistet werden kann.[94] Gründe im Sinne des § 1696 Abs. 1 S. 1 BGB liegen aber nicht vor, wenn der allein sorgeberechtigte Elternteil das Kind gegen den Willen des nicht mehr sorgeberechtigten Elternteils einem vertretbaren Gesundheitsrisiko – wie z.B. dem Besuch einer Schule, an der ein drahtloser Internetzugang (WLAN) betrieben wird – aussetzt.[95]

Zu den Fallkonstellationen, in denen der betreuende Elternteil konsequent die Umgangskontakte des Kindes mit dem anderen Elternteil hintertreibt und durch sein Verhalten die eigenständige Entwicklung des Kindes verhindert, siehe Rdn 21 f.).

[90] Vgl. BGH FamRZ 1993, 314.
[91] KG NJW-RR 1990, 716.
[92] OLG Hamm FamRZ 1979,855.
[93] OLG Frankfurt FamRZ 2005, 1700.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge