Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. Sebastian Krülls
Rz. 75
Rechtsdogmatisch schließen sich Arbeitnehmerüberlassung und Gemeinschaftsbetrieb nach übereinstimmender Meinung der Rechtsprechung und Literatur aus. Soweit zwischen zwei (oder mehr) Unternehmen ein Gemeinschaftsbetrieb besteht, findet das AÜG auf diese Kooperation der Trägerunternehmen keine Anwendung, weil tatbestandlich keine Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG gegeben ist.
Rz. 76
Das BAG nimmt einen Gemeinschaftsbetrieb mehrerer Unternehmen an, wenn die beteiligten Unternehmen einen einheitlichen Leitungsapparat zur Erfüllung der in der organisatorischen Einheit zu verfolgenden arbeitstechnischen Zwecke geschaffen haben. Insbesondere müssen die Arbeitgeberfunktionen in den sozialen und personellen Angelegenheiten des Betriebsverfassungsgesetzes institutionell einheitlich für die beteiligten Unternehmen sein. Diese einheitliche Leitung muss sich auf die wesentlichen Arbeitgeberfunktionen in den sozialen und personellen Angelegenheiten erstrecken.
Rz. 77
Der Gemeinschaftsbetrieb zeichnet sich daher regelmäßig durch die nachfolgenden charakteristischen Merkmale aus:
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einheitlicher Leitungsapparat in wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten, |
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(konkludente) Führungsvereinbarung, |
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gemeinsamer Einsatz von Betriebsmitteln und Personal (in einer Betriebsstätte) zu arbeitstechnischen Zwecken. |
Rz. 78
Wesentliches Merkmal eines Gemeinschaftsbetriebs ist – als eine Art Pendant zum Arbeitgeber im einfachen Betrieb – ein tatsächlich ausgeübter einheitlicher Leitungsapparat durch mehrere Unternehmen. Dieser muss imstande sein, die Gesamtheit der für die Erreichung des arbeitstechnischen Zwecks eingesetzten personellen, technischen und immateriellen Mittel rechtlich und tatsächlich zu lenken. Eine rein unternehmerische Zusammenarbeit durch Beherrschungsverträge oder Fremdsteuerung von Arbeitsprozessen ist nicht ausreichend, um einen solchen Leitungsapparat zu begründen. Es ist vielmehr der wesentliche Kern der Arbeitgeberfunktionen in den der Mitbestimmung unterliegenden personellen und sozialen Angelegenheiten, der den gemeinsamen Leitungsapparat auszeichnet. Auf die unternehmerische Funktion im Bereich der wirtschaftlichen Angelegenheiten kommt es im Rahmen des Gemeinschaftsbetriebs nicht entscheidend an. Ebenso sind rein administrative Aufgaben im Personalbereich für den Tatbestand eines Gemeinschaftsbetriebs ohne zentrale Bedeutung. Die einheitliche Kompetenz in personellen und sozialen Angelegenheiten innerhalb eines Gemeinschaftsbetriebs wird durch die beteiligten Unternehmen vielmehr ohne Rücksicht auf die unterschiedlichen arbeitsvertraglichen Bindungen in Bezug auf die wesentlichen Entscheidungen etwa über Personalplanung, Einstellungen, die Gestaltung von Arbeitsbedingungen, Arbeitsentgelt, Urlaub, Krankheitsvertretung, Arbeitseinsatz, Versetzung, Überstunden, Entlassung ausgeübt.
Rz. 79
Nach Ansicht des BAG ist über einen gemeinsamen Leitungsapparat hinaus für die Begründung eines Gemeinschaftsbetriebs eine rechtliche Vereinbarung der beteiligten Unternehmen notwendig. In dieser sog. Führungsvereinbarung einigen sich mindestens zwei rechtlich selbstständige Unternehmen auf die einheitliche Leitung des von diesen Unternehmen gemeinsam geführten Betriebs. Das BAG stützt das Erfordernis einer Führungsvereinbarung darauf, dass es für den Betriebsrat einen eindeutig erkennbaren Ansprechpartner bedürfe, der zur einheitlichen Willensbildung auf Arbeitgeberseite fähig sei. Nicht notwendig ist indes, dass diese Führungsvereinbarung ausdrücklich "auf dem Papier" getroffen wird. Ihr Vorliegen kann sich regelmäßig – ob gewollt oder ungewollt – wie bei nahezu jedweder Vertragsform auch aus den tatsächlichen Umständen ergeben. In der Rechtsprechung haben sich für das Vorliegen eines einheitlichen Leitungsapparats bzw. einer (konkludenten) Führungsvereinbarung zahlreiche Kriterien herausgebildet, etwa die gemeinsame Nutzung der technischen und immateriellen Betriebsmittel, die gemeinsame räumliche Unterbringung, die personelle, technische und organisatorische Verknüpfung der Arbeitsabläufe und die Vereinheitlichung der Weisungsbefugnisse. Zur Erleichterung des in der Praxis regelmäßig schwer zu erbringenden Beweises eines auf einer Führungsvereinbarung beruhenden Leitungsapparats finden sich im Anschluss an diese Rechtsprechung zwei Vermutungsregelungen in § 1 Abs. 2 BetrVG. Danach wird beim gemeinsamen Einsatz von Betriebsmitteln und Arbeitnehmern (Nr. 1) oder aber, wenn eine Unternehmensspaltung die betriebliche Organisation im Wesentlichen unverändert lässt (Nr. 2), ein Gemeinschaftsbetrieb vermutet. Zu weitgehend ist es allerdings, wenn Instanzgerichte teils bei Vorliegen kleinster Indizien eines betrieblichen Zusammenwirkens (z.B. Nutzung gemeinsamer Sozialeinrichtungen, räumliche Nähe) bereits das Bestehen eines Gemeinschaftsbetriebs bejahen. In der Praxis ist daher stets zu empfehlen, auf die tatsächlich-organisatorischen ...