Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. Sebastian Krülls
Rz. 19
Parallel zur Neuregelung des Arbeitsvertrages in § 611a BGB wird mit dem Reformgesetz erstmals in das AÜG eine Legaldefinition des Leiharbeitnehmers aufgenommen. So heißt es in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG nunmehr:
Zitat
"Arbeitnehmer werden zur Arbeitsleistung überlassen, wenn sie in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert sind und seinen Weisungen unterliegen."
Laut Gesetzesbegründung soll diese Legaldefinition lediglich die bisherige Rechtsprechung zu den Voraussetzungen, unter denen ein Arbeitnehmer überlassen wird, festschreiben. Dass § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG über die bisherige Rechtsprechung hinausgeht, ja, aufgrund europarechtlicher Vorgaben sogar hinausgehen muss, zeigt die jüngere Rechtsprechung zur Personalgestellung von Mitgliedern der DRK-Schwesternschaft. Für die Einordnung als Leiharbeitnehmer i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG ist es nicht zwingend erforderlich, dass nach nationalem Recht ein Arbeitsvertrag gem. § 611a BGB zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer vorliegt. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Leiharbeitnehmer Arbeitnehmer im Sinn der Leiharbeitsrichtlinie RL 2008/104/EG ist. Leiharbeitnehmer können damit (ausnahmsweise) auch Personen sein, die auf vereins- bzw. gesellschaftsrechtlicher Basis zum Verleiher stehen, wenn diese anderweitige Ausgestaltung des Verhältnisses nur vorgeschoben ist und eine Rechtsformumgehung darstellt (dazu § 5 Rdn 30)
§ 1 Abs. 1 S. 2 AÜG dient somit der Abgrenzung zwischen dem Einsatz eines Arbeitnehmers als Leiharbeitnehmer im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung und dem Einsatz als Erfüllungsgehilfe im Rahmen eines Werk- beziehungsweise Dienstvertrages.
Rz. 20
Anders als § 611a BGB hält sich diese Neuregelung indes nicht eng an die Rechtsprechung des BAG. Nach den bis zur Reform entwickelten Rechtsprechungsgrundsätzen liegt Arbeitnehmerüberlassung vor,
Zitat
"wenn einem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden, die in dessen Betrieb (voll) eingegliedert sind und ihre Arbeit allein nach Weisungen des Entleihers und in dessen Interesse ausführen."
Teilweise wurde befürchtet, dass der Begriff des Leiharbeitnehmers durch den Wegfall der Präzisierungen "voll" eingegliedert und "allein" nach Weisungen, entgegen dem gesetzgeberischen Willen nunmehr doch ausgeweitet worden sei.
Allerdings nutzt die Rechtsprechung die Präzisierung "voll" in jüngeren Entscheidungen nicht mehr, ohne dass deshalb eine Rechtsprechungsänderung oder Tendenzverschiebung erkennbar wäre. Auch ohne den Zusatz stellt die gesetzliche Fassung hinreichend deutlich klar, dass eine nur partielle ("halbe") Eingliederung nicht genügt.
Problematischer stellte sich der Verzicht auf das Wort "allein" dar, wurde mit ihm doch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass dem Entleiher die umfassende Personalhoheit übertragen worden sein muss. Vereinzelte Weisungen, erst recht solche, die gar nicht arbeitsbezogen, sondern rein werkbezogen im Sinne von § 645 BGB sind, genügen dagegen nicht. Eine wörtliche Übernahme der BAG-Rechtsprechung wäre zur rechtssicheren Vermeidung von Fehlinterpretationen wünschenswert gewesen. Allerdings reagierte der Ausschuss Arbeit und Soziales auf entsprechende Bedenken von Seiten der angehörten Sachverständigen und nahm in die Begründung der Beschlussempfehlung eine für die Praxis unmissverständliche Klarstellung auf. Dort heißt es: "Ferner wurde festgestellt, dass mit der Definition der Arbeitnehmerüberlassung in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG die derzeitige Rechtslage nicht geändert werden solle, etwa bei der Beauftragung von Beratungsunternehmen." Damit steht fest, dass der Anwendungsbereich der Arbeitnehmerüberlassung durch den Wegfall des Begriffs "allein" nicht ausgeweitet wurde, so dass eine Rechtsprechungskorrektur sachlich nicht gerechtfertigt wäre.
Eine Tendenzverschiebung ist in der Rspr. bisher auch nicht erfolgt. Man wird daher davon ausgehen können, dass es auch langfristig zu keiner Rechtsprechungskorrektur kommen wird.
Rz. 21
Auch wenn man davon ausgeht, dass die sehr knapp gehaltene Definition des Leiharbeitnehmers nach dem Willen des Gesetzgebers keine neuen Auslegungsprobleme nach sich ziehen soll, so bleibt die Regelung doch unbefriedigend. Das Ziel, für mehr Rechtssicherheit zu sorgen, erreicht die Regelung jedenfalls nicht. Nicht nachvollziehbar ist schon, weshalb der Begriff des Leiharbeitnehmers im Gegensatz zur Definition in § 611a BGB mit einem einzigen Satz erklärt sein soll, obwohl es hier um komplexere Rechtsbeziehungen in einem Dreiecksverhältnis geht. Vermisst wird in der Gesetzesbegründung zudem ein Hinweis, weshalb in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG anders als in § 611a BGB weiterhin die Eingliederung als Kriterium genannt wird. Vieles spricht dafür, dass die Beibehaltung des Merkmals ein schlichtes Versehen ist, weil die Ausstrahlung der im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens erfolgten Änderungen gegenüber dem ersten Referentenentwurf nicht bedacht wurden. Ein Sachgrund für die unterschiedliche Behandlung ist nicht ersichtlich. Wenn der Gesetzgeber...