Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. Sebastian Krülls
Rz. 82
Die Arbeitnehmerüberlassung aus § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG und der gemeinsame Betrieb gem. § 1 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BetrVG schließen sich tatbestandlich aus. Die Begründungstränge des BAG zur Abgrenzung des Gemeinschaftsbetriebs von der Arbeitnehmerüberlassung vollziehen sich vor allem an den drei Merkmalen der Eingliederung, Zweckförderung und Personalgestellung.
Rz. 83
Im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung wird der Leiharbeitnehmer vollständig in die (fremde) Betriebsorganisation des Entleihers eingegliedert. Er unterliegt den Weisungen des Entleihers. Der Entleiher setzt den Leiharbeitnehmer nach seinen Vorstellungen und zugunsten seiner Betriebsziele ein. Die Eingliederung in die (fremde) Betriebsorganisation des Entleihers erfolgt daher ausschließlich, damit der Leiharbeitnehmer die für ihn fremden Betriebszwecke des Entleihers fördert. Beim Einsatz von Arbeitnehmern im Gemeinschaftsbetrieb erfolgt im Gegensatz dazu eine Eingliederung der beteiligten Arbeitnehmer in eine gemeinsame Betriebsorganisation. Eine Unterscheidung zwischen Stammbetrieb und Beschäftigungsbetrieb gibt es folglich nicht. Der Arbeitnehmer erhält im Gemeinschaftsbetrieb auch keine Weisungen von einem anderen Arbeitgeber. Es besteht vielmehr einheitlicher Leitungsapparat, welcher sich auf das Spektrum der wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten erstreckt. Der im Gemeinschaftsbetrieb eingesetzte Arbeitnehmer erbringt seine Arbeitsleistung im Ergebnis zugunsten des Gemeinschaftsbetriebs. Er fördert also nicht (nur) die Betriebszwecke eines fremden Arbeitgebers, sondern auch Zwecke des eigenen Arbeitgebers.
Rz. 84
Der jeweilige Mitwirkungsbeitrag der beteiligten Unternehmen muss beim Gemeinschaftsbetrieb zumindest grundsätzlich über die bloße Personalgestellung hinausgehen. Es ist tatbestandlich notwendig, dass die beteiligten Unternehmen an einem gemeinsamen arbeitstechnischen Zweck mitwirken. Beschränkt sich ein Unternehmen allein auf das Zur-Verfügung-Stellen von Personal, fehlt es regelmäßig, zumindest ohne weitere Indizien, an dem für einen gemeinsamen Betrieb maßgeblichen Merkmal einer einheitlichen Leitung in personellen und sozialen Angelegenheiten. In diesen Fällen liegt – wenngleich nicht in jedem Einzelfall zwingend – spiegelbildlich Arbeitnehmerüberlassung nahe. Notwendiger Inhalt eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags ist nämlich gerade in Abgrenzung zum Gemeinschaftsbetrieb die ausschließliche Verpflichtung des Verleihers gegenüber dem Entleiher, diesem zur Förderung von dessen Betriebszwecken Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen. Die Vertragspflicht des Verleihers erschöpft sich bei der Arbeitnehmerüberlassung daher in der Auswahl und Bereitstellung des geeigneten Personals an den Entleiher. Einigen sich Unternehmen daher etwa lediglich auf eine Zusammenarbeit, im Rahmen derer bei Arbeitskräfteüberhängen bzw. bei Personalengpässen bestimmte Arbeitnehmer dem jeweils anderen Arbeitgeber überlassen werden, werden diese Arbeitnehmer im betreffenden Zeitraum ausschließlich durch den Entleiher eingesetzt. Dies führt – zumindest außerhalb von Konzernstrukturen – zur Anwendung des AÜG.
Rz. 85
Danach ist es zumindest grundsätzlich ausgeschlossen, dass Gemeinschaftsbetriebe mit (konzerninternen) Personalführungsgesellschaften geschlossen werden, deren (objektiver) Beitrag sich allein in der Einbringung von Personal erschöpft. Solche Konstruktionen unterfallen innerhalb eines Konzerns auch nicht dem das AÜG ausschließenden Konzernprivileg aus § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG. Zwangsläufig stellt sich allerdings auch die Frage, ob diese Folge – innerhalb wie außerhalb von Konzernen – präventiv mithilfe der bewussten Implementierung eines (gewillkürten) Gemeinschaftsbetriebs verhindert werden kann. So könnte etwa Unternehmen A die Betriebsmittel (Betriebsgebäude, Maschinen etc. und mindestens einen Arbeitnehmer) zur Verfügung stellen, während Unternehmen B ausschließlich Arbeitnehmer und keine eigenen Betriebsmittel in die Zusammenarbeit einbringt. Zwar setzt ein Gemeinschaftsbetrieb jeweils den Einsatz von Arbeitnehmern der beteiligten Unternehmen und die gemeinsame Nutzung von Betriebsmitteln voraus, aber nicht, dass die Unternehmen jeweils selbst Betriebsmittel einbringen. Verfolgt daher die an der Zusammenarbeit beteiligte Personalführungsgesellschaft – anders als bei der Arbeitnehmerüberlassung – einen über die bloße Personalgestellung hinausgehenden gemeinsamen Betriebszweck mit dem anderen beteiligten Trägerunternehmen, kann auch in diesen Fällen ein Gemeinschaftsbetrieb vorliegen. Hierbei dürfen die Anforderungen an diesen gemeinsamen Betriebszweck der beteiligten Unternehmen nicht überspannt werden. Solange das personalstellende Unternehmen auch am gemeinschaftlichen Zweck partizipiert, es am einheitlichen Leitungsapparat beteiligt ist und somit die Ausgestaltung des Gemeinschaftsbetriebs (mit)lenkt, ist tatbestandlich keine Arbeitnehmerüberlassung gegeben. Nach überzeug...