Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. Sebastian Krülls
Rz. 95
Abgrenzungsfragen zur Arbeitnehmerüberlassung können sich hingegen vorwiegend dann stellen, wenn die Matrixstruktur in einer Weise vollzogen wird, bei der dem unternehmensfremden Matrixmanager (bzw. untechnisch der zuständigen Führungskraft) das (fachliche) Weisungsrecht bezüglich der ihm zugeordneten Arbeitnehmer übertragen wird und der Matrixmanager dieses fachliche Weisungsrecht im eigenen Namen (und nicht etwa im Namen des Vertragsarbeitgebers) ausübt. Agiert der Matrixmanager hingegen im Rahmen einer Stellvertretung im Namen des Vertragsarbeitgebers, ist seine Weisung gegenüber dem Arbeitnehmer in der gesteuerten Einheit regelmäßig dem Vertragsarbeitgeber zurechenbar und eine Arbeitnehmerüberlassung scheidet bereits aus diesem Grund aus. In der Praxis wird – oft ohne geschriebene Vollmacht – zumeist auf diese "Rechtfertigung" für die Matrixorganisation zurückgegriffen. Teilweise scheitert die Stellvertretungslösung aber an faktischen Konzernhierarchien, nämlich daran, dass die Bevollmächtigung des Matrixmanagers, der oft bei einer (ausländischen) Obergesellschaft tätig ist, intern als nicht opportun gesehen wird ("keine Bevollmächtigung von unten nach oben").
Rz. 96
Die Frage, ob im Fall einer Übertragung des fachlichen Weisungsrechts in der Matrix Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, lässt sich wiederum nicht pauschal, sondern nur anhand der Definition aus § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG im jeweiligen Einzelfall beantworten. Arbeitnehmer werden hiernach nur zur Arbeitsleistung überlassen, wenn sie in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert sind und seinen Weisungen unterliegen. Die Arbeitnehmerüberlassung zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sich der Pflichtenkreis des Verleihers auf die Auswahl und Gestellung von geeignetem Personal beschränkt. Der Verleiher fördert bei der Arbeitnehmerüberlassung daher mit der Gestellung von Personal ausschließlich die betrieblichen Zwecke des Entleihers. Keine Arbeitnehmerüberlassung liegt daher vor, wenn die beteiligten Arbeitgeber im Rahmen einer unternehmerischen Zusammenarbeit mit dem Einsatz ihrer Arbeitnehmer jeweils ihre eigenen Betriebszwecke verfolgen.
Rz. 97
Bereits dies zeigt, dass auch die bloße Übertragung des fachlichen Weisungsrechts auf einen unternehmensfremden Dritten (z.B. den Matrixmanager) nicht ohne Weiteres den Tatbestand der Arbeitnehmerüberlassung begründet, wenn der angewiesene Arbeitnehmer nicht auch in die Arbeitsstruktur des potentiellen "Entleihers" eingegliedert ist oder der potentielle "Verleiher" neben der Personalgestellung auch eigenständige weitere Zwecke mit dem Matrixeinsatz verfolgt, die sich seiner Einheit zuordnen lassen.
Rz. 98
In einer Matrixstruktur verfolgt die gesteuerte Einheit in der Praxis regelmäßig auch eigenständige Betriebszwecke, die mit der Übertragung des fachlichen Weisungsrechts einhergehen und die der Annahme von Arbeitnehmerüberlassung entgegenstehen können. Auch ist das "Durchregieren" eines Matrixmanagers in den seltensten Fällen mit einer Eingliederung in einen für den angewiesenen Arbeitnehmer fremden Betrieb verbunden, sofern der Weisungsempfänger in der Einheit seines Vertragsarbeitgebers "weiterarbeitet". Das Kriterium der Eingliederung droht in diesen Fallkonstellationen für die Praxis allerdings zunehmend an Schärfe zu verlieren, wenn die Matrixverbindung zugleich mit einer immer stärken technischen und virtuellen Verbindung der einzelnen Einheiten einhergeht. Vergleichbar mit der Abgrenzung von abhängiger und selbstständiger Beschäftigung bedarf es daher regelmäßig bei Matrixeinsätzen einer Gesamtbetrachtung der jeweiligen unternehmerischen Zusammenarbeit.
Rz. 99
Gegen eine Arbeitnehmerüberlassung können etwa folgende Indizien sprechen:
Indiz |
Indizstärke gegen AÜ |
Der anweisende Matrixmanager übt sein Weisungsrecht nicht im eigenen Namen, sondern im Namen des Vertragsarbeitgebers für diesen aus |
Starkes Argument |
Der Vertragsarbeitgeber verfolgt bei der Zusammenarbeit abgrenzbare, eigenständige Betriebszwecke, die über die Personalgestellung hinausgehen |
Starkes Argument |
Die Arbeitsleistung kommt trotz einer Anweisung durch den Matrixmanager im Wesentlichen auch dem eigenen Vertragsarbeitgeber zugute |
Starkes Argument |
Der angewiesene Arbeitnehmer übt seine Tätigkeit nach wie vor im Betrieb seines Vertragsarbeitgebers aus |
Moderates bis starkes Argument Gewicht hängt zusätzlich davon ab, inwieweit eine "virtuelle Eingliederung" in fremde Abläufe durch moderne IT-Strukturen vorliegt |
Das fachliche Weisungsrecht wird im Schwerpunkt auch weiterhin vom Vertragsarbeitgeber ausgeübt |
Moderates Argument |
Der Vertragsarbeitgeber trägt die Kosten des Matrixeinsatzes seines eigenen Arbeitnehmers |
Schwaches bis moderates Argument |
Rz. 100
Wird die Matrixorganisation – wie in der Praxis üblich – zwischen Konzernunternehmen praktiziert, vermag unabhängig von den vorstehenden Erwägungen der Ausnahmetatbestand aus § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG in Zweifelsfällen eine weitere Absicherung...